Maxime und Gael «Bei Streit war es weniger kompliziert als nur zu zweit»

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Illustration von Giulia Spagnulo: zwei Frauen und ein Mann sitzen und liegen auf einem Sofa, davor spielt ein Kind
Illustration: Giulia Spagnulo

Luc und Maxime sind Mitte zwanzig, als sie sich vor elf Jahren kennenlernen. Ohne sich gross abzusprechen, ist klar, dass sie keinen exklusiven Anspruch aufeinander haben. Sie verbringen viel Zeit, sind sich sehr nah. Im Sommer schwärmen beide aus, haben Flirts, verlieben sich, im Winter kehren sie zurück in die Zweisamkeit – drei Jahre reiten sie auf dieser Welle.

Im vierten Sommer kehrt Maxime von einer Reise nach Lausanne zurück und merkt, dass sich etwas anders anfühlt. Luc hat ihr bereits von seinem Sommerschwarm Aude erzählt. «Ich kannte sie schon und wusste, Aude, das ist so eine Frau …» Maxime seufzt. Ob sie eifersüchtig war? «Nein, überhaupt nicht, ich dachte, yes, das ist eine richtig gute Wahl von Luc! Wenn, dann sie.»

Maxime lernt im gleichen Sommer Gael kennen. Sie erklärt ihm, sie und Luc hätten beide jeweils ihre Sommergeschichten, im Winter seien sie dann wieder zu zweit, das sei so üblich bei ihnen. «Du hast mir dann einen süssen Brief geschrieben», sagt sie zu Gael, «dieses Mal sei es vielleicht nicht nur ein Sommerflash.» Es ist das erste Mal, dass Maxime sich vorstellt, es könnte diesmal tatsächlich anders sein.

«Aude und ich haben uns anfangs als Satelliten verstanden, Maxime und Luc waren die Hauptplaneten», sagt Gael. Die vier lernen sich besser kennen. Es ist Herbst, und eines Abends wollen sie sich an einem Stammtisch für Personen mit nichtnormativen Beziehungen treffen. Anstatt reinzugehen, sitzen sie draussen in der Abendsonne, trinken Schnaps und reden stundenlang, bis sie in der gleichen Nacht alle zusammen im Bett landen. Dieser Herbst fühlt sich an wie ein einziger langer Sommernachtstraum, sie ziehen durch die Strassen der Stadt, baden nackt in Brunnen, verlieben sich alle wie wild ineinander. Es wird Winter, und die Satelliten werden zu Hauptplaneten im Sonnensystem.

Es ist leicht, zu viert Zeit zu verbringen, denn alle ausser Aude leben im gleichen Haus, vieles passiert spontan. Zwar entwickelt sich eine stärkere Gravitation zwischen Luc und Aude und zwischen Gael und Maxime, aber alle vier teilen miteinander eine romantische und körperliche Beziehung. Später kommen Sternschnuppen und Kometen dazu – One-Night-Stands und wiederkehrende Liebschaften. Acht Jahre lang gleitet die Konstellation in ihren Bahnen. Wenn es – selten – Spannungen zwischen zweien gibt, reden sie zu viert darüber. «Ich hatte davor noch nie eine so geschmeidige Beziehung», sagt Gael. «Wenn es Streit gab, war es weniger kompliziert als nur zu zweit, denn du hattest unterschiedliche Perspektiven auf eine Situation.»

Kompliziert ist ihre Beziehung weniger gegen innen als gegen aussen, denn die Welt um sie herum tickt weitgehend monogam. Kommen andere Liebschaften hinzu, betonen alle vier gegenüber diesen jeweils gleich am Anfang, dass sie nicht monogam leben, um ihre Beziehung zu schützen und keine falschen Hoffnungen zu wecken. In ihrem Arbeitsumfeld als Chemielaborantin spricht Maxime jahrelang nur von «ihrem Freund» und meint damit alle ihre Beziehungen. Es dauert lange, bis sie einer ihrer Arbeitskolleginnen von ihrer Konstellation erzählt. Diese schaut sie mit grossen Augen an und fragt kritisch nach: «Aber schon nur zu viert?» Um sie nicht zu überfordern, antwortet Maxime mit Ja.

Während der Pandemie ist es vor allem Luc, der sich der Sache nicht mehr sicher ist und mit seiner neuen Kometenbeziehung einen Wunsch nach Monogamie entwickelt. «Wir mussten alle lachen, gerade er! Aber die Sehnsucht nach Monogamie war eher ein Symptom. Wir hatten alle das Gefühl, dass Luc in einer Krise steckt, die nichts mit unserer Beziehungsform zu tun hat», sagt Maxime.

Luc, der Einzige von ihnen, der nicht aus einem Mittelklassehaushalt kommt, spielte im Planetensystem immer eine spezielle Rolle, er ist quasi der Magier, der vieles ermöglicht. Er ist es auch, der Maxime und Gael erst aufeinander aufmerksam macht, mit dem Hinweis, dass sich Gael bei einem Besuch für ihre Tantra-DVDs interessiert habe. Luc kennt Maximes Wünsche und weiss, dass Gael zu ihr passen würde.

Maxime erzählt von der ersten Nacht mit Gael: «Wir sassen auf dem Dach des Hauses, kurz vor einem Gewitter, die Hälfte des Himmels schwarz, die andere blau, unten spielte eine Liveband. Dann fing es heftig an zu regnen, wir gingen nach unten und küssten uns zum ersten Mal im Fensterrahmen, bei Blitzen und Donner, und wurden immer nasser und nasser und nasser …» Dank Gael habe sich ihre Sexualität stark entwickelt. Anfangs habe sie das Polyleben davon erleichtert, nicht die ganze Verantwortung für die Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse ihrer Partner:innen zu tragen; heute geniesse sie es sogar, diese Verantwortung auf sich zu nehmen.

Acht Jahre hält die Konstellation. Das wäre auch für eine monogame Beziehung nicht nichts, findet Gael. Weihnachten 2023 feiern sie wie so oft nochmals mit den Familien von allen vieren, obgleich ihr Quartett bereits ein Jahr davor an einen Wendepunkt gelangt war. «Auch gegen Ende, als nicht mehr alles stimmte, waren wir noch sehr synchron», meint Gael. Er will auch die kommenden Weihnachten gemeinsam feiern, doch Maxime wirft ein: «Noch ein Fest lasse ich mir nicht von Luc verderben.» Sie meint es als Witz. Sie befinde sich noch immer in der Trennung, und der Humor zwischen den vieren sei wohl das Wichtigste gewesen, um ihre Beziehung so lustvoll zu halten.

Aude bewegt sich zunehmend in queeren Beziehungen, sie ist die Jüngste von allen, Kinder sind kein Thema. Es ist die Trennung zwischen Aude und Luc, die das Planetensystem auseinandertreibt, während Gael und Maxime zusammenbleiben. Wobei Trennung nicht die richtige Bezeichnung ist, denn sie stehen sich alle noch sehr nahe – lieber sprechen sie von einer Transformation.

Maxime spürt eine gewisse Enttäuschung. «Ich glaube, ich habe es zu idealistisch gesehen. Es war meine Vision, eine Familie in einem Polykonstrukt zu gründen. Ich sah es als superrevolutionär an – jetzt ist das nicht mehr so.» Sie ist 36, wünscht sich schon länger Kinder. Immer wieder steht im Raum, dass Luc die biologische Vaterschaft übernehmen könnte, doch je länger, desto mehr macht ihm der Gedanke Mühe. Für Gael ist schon seit jeher klar, dass er keine Kinder möchte.

«Für die meisten Leute, die poly leben, ist es kein Teil der Vision, Kinder zu kriegen. Eher für immer flexibel unterwegs zu sein», sagt Maxime. «Ich fand es eine schöne Vorstellung, nicht zu wiederholen, was ein grosser Teil der Gesellschaft macht.» Sie fürchtet, es könnte schwierig werden, in ihrem Alter eine Person zu finden, die zu ihr passt, sie zugleich auch mit einer achtjährigen Partnerschaft und ihrer ganzen Geschichte annimmt. Gael würde es akzeptieren, wenn eine neue Beziehung bedeuten würde, dass sie sich trennen müssten. «Nur ist niemand so gut wie du», entgegnet Maxime. Es ist ein emotionales Thema.