Durch den Monat mit Karin Huber (Teil 4): Wie kaufen Sie ein?

Nr. 51 –

Karin Huber geht gerne ins Theater, stellt aber fest, dass der Kulturbereich für Menschen mit Beeinträchtigungen voller Hürden ist.

Karin Huber geht mit dem Langstock für Blinde entlang von Markierungen auf der Strasse
Karin Huber: «Ich mache mir zunehmend weniger Gedanken, wenn ich Unterstützung benötige, und fordere diese vom Verkaufspersonal ein.»

WOZ: Frau Huber, Sie erwähnten, dass Eltern mit Behinderung mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Ist Ihnen das auch widerfahren?

Karin Huber: Nicht ausgeprägt, ich galt ja noch als normal Sehende, als meine beiden Mädchen klein waren. Inzwischen sind sie elf und dreizehn Jahre alt und ziemlich selbstständig. Eine Freundin von mir, die im Rollstuhl sitzt, macht aber immer wieder dieselbe Erfahrung: Wenn sie mit ihrem Sohn und einer nichtbehinderten Bekannten unterwegs ist, gehen die Leute wie selbstverständlich davon aus, dass diese Frau die Mutter des Kindes sei. Menschen mit Beeinträchtigungen wird vermittelt, dass die Elternrolle für sie nicht gedacht ist oder man ihnen diese nicht zutraut.

Das Problem ist ja nicht die Behinderung, sondern die fehlende Unterstützung. In der Schweiz werden Eltern mit Behinderung nicht nur unterschätzt, sondern auch viel zu wenig unterstützt. Die Geburt eines Kindes kann auch Auswirkungen auf die Invalidenrente haben.

Das verstehe ich nicht.

Die Renten werden regelmässig angepasst. Dabei beurteilt die IV-Stelle die Arbeitsfähigkeit bei teilerwerbstätigen Personen auch im sogenannten Aufgabenbereich. Gemeint sind damit Aufgaben wie Haushalt und Kinderbetreuung. Die Geburt eines Kindes führt nach dieser Logik dazu, dass der Status von «vollerwerbstätig» auf «teilerwerbstätig» wechselt. Das kann zur Rentenkürzung führen. Zwar hat das Bundesgericht entschieden, dies sei nicht rechtens. Kann aber trotzdem passieren, und nur die wenigsten Betroffenen dürften sich so gut auskennen, dass sie sich erfolgreich wehren können. Derweil es für diese Betroffenen dringend mehr Unterstützung bräuchte, zum Beispiel in Form einer Elternassistenz, wie man sie in Deutschland kennt.

Wie funktioniert diese Elternassistenz?

Mütter oder Väter mit einer Beeinträchtigung, die bei der Betreuung ihrer Kinder Hilfe benötigen, können eine Assistenzkraft einstellen. Diese unterstützt sie im alltäglichen Leben, zum Beispiel beim Wickeln oder ganz allgemein im Haushalt. Der Staat bezahlt diese Assistenzkraft. Und was wichtig ist: Die Erziehungsrechte verbleiben vollumfänglich bei den Eltern.

Etwas ganz anderes: Wie kaufen Sie ein?

Ich kaufe viel online und lasse mir die Einkäufe nach Hause liefern. Und bis vor kurzem habe ich beispielsweise in einem Café eigentlich immer das Gleiche genommen – also etwas, wovon ich sicher war, dass es das gibt. Ich sehe die Auslage ja nicht. In letzter Zeit merke ich allerdings eine Veränderung. Ich mache mir zunehmend weniger Gedanken, wenn ich Unterstützung benötige, und fordere diese vom Verkaufspersonal ein. Was ich schon bemerkt habe: Je selbstbewusster und bestimmter ich auftrete, desto einfacher ist es für das Gegenüber. Aber ehrlich gesagt kostet mich das zusätzlich Energie.

Wie sieht es mit der Barrierefreiheit im Alltag aus?

Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass Kulturveranstaltungen oft nicht barrierefrei sind. Ich bin früher gerne ins Theater gegangen. Es existiert kaum ein Theater, das eine Audiodeskription anbietet; das ist eine akustische Beschreibung dessen, was man auf der Bühne sieht.

Ich habe kürzlich drei Vorstellungen besucht, bei denen es eine Audiodeskription gab. Am Anfang habe ich mich gefreut, bis ich realisierte, dass alle drei Stücke einen Bezug zum Thema Behinderung hatten. Barrierefreiheit wird also nur angeboten, falls sich eine Gruppe eh schon mit dem Thema beschäftigt. Ich kann also nur Stücke schauen, die sich um Behinderung drehen, das ist doch ärgerlich. Kulturell bin ich – verglichen mit dem breiten Angebot, das ich früher nutzen konnte – heute auf jeden Fall sehr eingeschränkt.

Und in anderen Bereichen?

Ich würde zum Beispiel gerne eine Weiterbildung machen, weiss aber nicht, ob ich das neben Arbeit und Familie überhaupt schaffe. Ich müsste zuerst überprüfen, ob die Institution zugänglich ist, und den Nachteilsausgleich abklären, es geht zum Beispiel um das Benutzen von Hilfsmitteln oder zusätzliche Pausen, die man benötigt. Vor diesen Abklärungen schrecke ich im Moment zurück, es bräuchte da meines Erachtens mehr Unterstützung.

Die Abstimmungsunterlagen sind übrigens immer noch nicht barrierefrei. Blinde müssen stets jemanden bitten, die Stimm- und Wahlzettel auszufüllen. Beim öffentlichen Verkehr sind wir auch noch nicht am Ziel. Man gibt uns in vielen Bereichen ständig zu verstehen: Wir sehen euer Bedürfnis, aber das kostet viel Geld und ist so kompliziert. Am Ende werden wir auf später vertröstet. Das ist ein Frust und nervt. Um etwas zu verändern, müssen wir unsere Rechte verstärkt selber einfordern. Wir werden nicht länger kuschelig sein.

Gibt es konkrete Pläne?

Wir haben mit der Petition «Stoppt Zwangssterilisationen» gemerkt, dass wir uns politisch Gehör verschaffen können. Das möchten wir auch für weitere Vorstösse nutzen. Vielleicht wiederholen wir das bei der Elternassistenz.

Die Juristin Karin Huber (46) ist Kogeschäftsführerin von Avanti donne. Sie leidet an einer degenerativen Netzhauterkrankung, was zum Verlust des Sehvermögens führt. Sie nimmt ihre Umgebung unscharf und in Sepiatönen wahr.