Durch den Monat mit Mareice Kaiser (Teil 4): Muss man seinen Körper lieben?

Nr. 13 –

Autorin Mareice Kaiser war noch nie die kleine Süsse. Schlimm findet sie das nicht. Im Gegenteil.

Portraitfoto von Mareice Kaiser
Mareice Kaiser: «Dass ich meine Nase kratzen kann, wenn sie juckt – wie toll ist das denn?» Foto: Jana Rodenbusch

WOZ: Frau Kaiser, wir sprachen bisher über Mutterschaft, Geld und Inklusion. Das mag im Vergleich jetzt eher ein kleines Thema sein, aber: Was für ein Verhältnis haben Sie zu Ihrem Körper?

Mareice Kaiser: Für mich ist das gar kein kleines Thema, weil mein Körper so gross ist (lacht). Einer der Sätze, die ich am meisten zu hören bekomme, wenn mich Menschen zum ersten Mal in echt treffen: «Boah, du bist grösser, als ich dachte.»

Wie gross sind Sie denn?

1,80. Ich war schon immer gross und auch nie sonderlich schlank. Auf Schulfotos war ich immer die, die hinten stand. Ich war nie die kleine Süsse. Dadurch habe ich manchmal das Gefühl, dass ich nicht alles von typisch weiblicher Sozialisierung mitbekommen habe.

Hat das dazu geführt, dass Sie sich weniger über Ihren Körper definierten?

Tatsächlich definiere ich mich eher selten über meinen Körper. Also der ist da, und der trägt mich, und ich bin dankbar dafür, aber ich habe mir nie gross Gedanken darüber gemacht.

Ist das ein Privileg?

Auf jeden Fall. Seit ich mich mit Themen wie Inklusion beschäftige, ist mir das nur noch klarer geworden. Mein Körper ermöglicht mir so viele Sachen. Von mal eben schnell zum Bus rennen und den erwischen bis hin zu richtig guten Orgasmen. Dafür bin ich einfach unheimlich dankbar. Dass ich meine Nase kratzen kann, wenn sie juckt. Ich meine, wie toll ist das denn?

Muss man seinen Körper lieben?

Nein, warum auch? Ich glaube generell auch nicht an dieses «Erst wenn du dich selbst lieben kannst, kann dich eine andere Person lieben». Ich bin da eher für Body Neutrality statt Body Positivity – mein Körper ist da, und das ist okay.

Hat sich Ihr Verhältnis zu Ihrem Körper je verändert?

Da muss ich erst mal überlegen, das ist voll das deepe Thema.

Sorry.

Nee, ist ja gut, ich liebe das! Also mein Verhältnis zu meinem Körper hat sich auf jeden Fall verändert, zum Beispiel durch die Erfahrung von Schwangerschaften und Geburten. Und durch guten Sex. In meinem Buch «Das Unwohlsein der modernen Mutter» habe ich dem Thema «Körper und wie Körper bewertet werden» ein ganzes Kapitel gewidmet. Und einmal schrieb ich einen Text darüber, wie schwierig es für mich ist, die richtige Jeans zu finden. Ich bin gross, habe grosse Brüste und einen grossen Bauch. Meine Figur ist nicht normschön, aber normnah. Mit Grösse 46/48 passe ich nicht ganz in Normgrössen rein. Das ist aber noch mal was anderes als eine Person mit Grösse 58, die ganz anders Fettfeindlichkeit ausgesetzt ist. Für die es noch schwieriger ist, coole Kleidung zu finden.

Mein Verhältnis zu meinem Körper veränderte sich, als ich Mutter wurde: Seit ich Kinder habe, ist mir auffällig egal, wie mein Körper aussieht. Ich weiss selbst nicht genau, warum.

Vielleicht weil sich Prioritäten verschieben? Als Mutter hat man – ausser man ist reich und hat eine Nanny – ja weniger Zeit, auch für Körpergedanken.

Der weiblich gelesene Körper wird ständig bewertet. Nach der Geburt meiner Zwillinge bekam ich dauernd zu hören: Dir sieht man das gar nicht an! Ich glaube, es war als Kompliment gemeint. Aber mir war es unangenehm.

Das zeigt ja die abgehobenen Erwartungen an Mütter, an denen man scheitern muss! Kinder gebären, aber nicht danach aussehen. Sich um die Kinder und den Haushalt kümmern, aber bitte auch Milf [Mother I’d like to fuck, Anm. d. Red.] sein. Die Kinder von der Kita abholen, aber bitte auch Karriere machen. Dabei bitte immer gute Laune haben. Das schafft kein Mensch!

Körper von Frauen werden nicht nur bewertet, sondern in der Medizin auch vermehrt falsch oder gar nicht therapiert.

Ich habe Endometriose und dachte ganz lange, ist halt einfach so. Dass ich mir die ganze Zeit Schmerztabletten reinballern muss, dass ich während meiner Periode einen oder zwei Tage nicht arbeiten kann. Oft wird Menstruierenden vermittelt: Da musst du jetzt einfach durch. Ich habe dank Menschen, die öffentlich darüber reden, erst in den vergangenen Jahren gelernt: Es ist eine Krankheit, und die Schmerzen muss ich nicht aushalten.

Was hat Ihnen geholfen?

Nachdem ich dreimal in der Notaufnahme war, lag ich bei meiner Gynäkologin und besprach mit ihr, ob wegen meiner ganzen Symptome eine Operation notwendig sei. Ich hasse Operationen, aber Ärzt:innen diagnostizieren Endometriose erst nach einer OP. Meine Gynäkologin machte einen Ultraschall, redete über den möglichen Eingriff und sagte dann so nebenbei: «Na, oder Sie nehmen halt die Pille.» Und ich so: «Wie jetzt? Das sagen Sie mir nach dreimal Notaufnahme? Geben Sie mir sofort diese Pille!» Seither nehme ich eine Endometriosepille, menstruiere nicht mehr und lebe das beste Leben, das es überhaupt gibt.

Die deutsche Autorin Mareice Kaiser (42) hatte zwischendurch die perfekte Jeans für sich gefunden. Aktuell ist sie ihr aber zu eng.