Die Ausgangslage: Zürich wackelt

Nr. 4 –

Gelingt es den Bürgerlichen, ihre verlorene Mehrheit im Kantonsrat zurückzuerobern? Oder verlieren sie sogar die Mehrheit im Regierungsrat? 

Vor vier Jahren ereignete sich bei den Kantonsratswahlen in Zürich so etwas wie eine kleine Revolution: Grüne und Grünliberale legten – auch dank der Klimabewegung – um je rund 5 Prozentpunkte zu, während die SVP um 5,5 und die FDP um 1,6 Punkte absackten. Die über mehrere Jahrzehnte bestehende absolute Mehrheit der Bürgerlichen war gebrochen. Seither setzt sich im Zürcher Parlament bei umwelt- und gesellschaftspolitischen Fragen immer wieder diese Koalition durch, zu der neben den beiden grünen Parteien auch SP, AL und EVP gehören. Sie nennt sich «Klima- und Fortschrittsallianz».

Eine fragile Allianz

Am 12. Februar wird das Parlament neu gewählt – und die grosse Frage ist, ob diese Koalition ihre knappe Mehrheit halten kann. Entscheidend wird sein, welche Parteien ihre Basis am besten zu mobilisieren wissen. Denn die Stimmbeteiligung bei kantonalen Wahlen ist traditionell sehr tief.

Der Kanton Zürich wächst derzeit stark. In vielen Gemeinden speziell rund um die Stadt Zürich entstehen grosse neue Wohnquartiere, die Menschen mit relativ hohen Einkommen anziehen. Der öffentliche Verkehr hinkt dem demografischen Trend hinterher: S-Bahnen sind in der Stosszeit oft überfüllt, die Erweiterung des Tramnetzes im Grossraum Zürich kommt nur langsam voran, in vielen Gemeinden fehlt ein Ortsbussystem. Der motorisierte Autoverkehr steigt weiter an und damit auch der CO₂-Ausstoss und der Lärm. Während einige Städte mit Temporeduktion reagieren, versucht eine Allianz aus SVP und FDP, die Massnahme zu torpedieren: Per Volksinitiative wollen sie Tempo 30 auf Hauptverkehrsstrassen innerorts verbieten.

Die Klima- und Fortschrittsallianz ist fragil, muss beständig nach Kompromissen suchen. Gelegentlich schert die wertkonservative EVP aus, manchmal auch die wirtschaftsliberale GLP. Diese verkauft sich im Wahlkampf als «Pionierin im Klimaschutz, Visionärin für ein verantwortungsvolles Unternehmertum und als Ermöglicherin einer chancengerechten Gesellschaft». Schöner Marketingsprech – schwieriger wird es freilich, wenns um konkrete Fragen geht: So will der Regierungsrat für 250 Millionen Franken zwei der drei Pisten des Flughafens Kloten verlängern. Konkret würde das bedeuten, dass mehr Flugzeuge abgefertigt werden könnten. Die GLP hatte das zusammen mit den Grünen und der SP bislang bekämpft, doch inzwischen ist GLP-Regierungratskandidat Benno Scherrer für den Ausbau.

Während die GLP laut Umfragen weiter zulegt, stagnieren die Grünen und die SP oder verlieren gar. Vieles dürfte jedoch angesichts des ausserordentlich kurzen Wahlkampfs noch von den letzten Wochen abhängen. So will die SP bis zu den Wahlen 20 000 potenzielle Wähler:innen telefonisch mobilisieren.

Bedrängte Silvia Steiner

Möglich ist, dass die Grünen dank ihres populären Regierungsrats Martin Neukom noch Rückenwind bekommen (vgl. «Das grüne Rad im Apparat»). Bei der SP ist es komplizierter: Ihr umstrittener Regierungsrat Mario Fehr ist inzwischen aus der Partei ausgetreten und kandidiert als Unabhängiger. Und Regierungsrätin Jacqueline Fehr ist wegen eines Datenlecks in ihrer Direktion angeschlagen.

Immerhin hat die SP mit Nationalrätin Priska Seiler Graf eine zusätzliche Kandidatin aufgestellt, die offenbar gut ankommt. Die ausgebildete Sekundarlehrerin hat es in den letzten Wochen verstanden, die bisherige Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) zu bedrängen. So ist es sogar möglich, dass die bisherige bürgerliche Mehrheit im Regierungsrat fallen könnte.