Entwicklungszusammenarbeit: Innenpolitik ist Aussenpolitik

Nr. 8 –

Im Frühling läuft der Prozess zur künftigen Ausrichtung der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit an. Unter Aussenminister Ignazio Cassis droht eine starke Fokussierung auf Schweizer Eigeninteressen.

Zum Jahresbeginn bliesen gleich mehrere bürgerliche ParlamentarierInnen zum Angriff auf die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Zwar nicht auf deren Finanzierung von Hilfsprojekten in Katastrophengebieten, dafür aber ganz pauschal auf die internationale Entwicklungszusammenarbeit (EZA), die schon lange in regelmässigen Abständen wahlweise als ineffizient, fehlgeleitet oder überhaupt als «Fass ohne Boden» diffamiert wird.

«Die Deza muss sich warm anziehen», liess SVP-Nationalrat Andreas Glarner gegenüber der «SonntagsZeitung» verlauten. Seine Partei arbeitet derzeit an einer Initiative, um künftig eine Milliarde Franken aus den Bereichen EZA und Asyl in die AHV zu transferieren.

Unter stetem bürgerlichem Druck

Ebenfalls gegenüber der «SonntagsZeitung» sprach sich auch FDP-Ständerat Philipp Müller für eine Kürzung der Deza-Gelder aus. Er forderte eine Fokussierung der Entwicklungshilfe auf Länder, «in denen sie (die Schweiz, Anm. d. Red.) auch wirklich etwas bewirken kann». Was er damit gemeint haben dürfte, hat CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter bereits im November in einer Motion dargelegt: Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit solle sich «schwerpunktmässig auf jene Regionen konzentrieren, aus denen Migrationsströme zu erwarten sind oder welche von solchen betroffen sind», heisst es darin. Eine Budgetkürzung fordert Schneider-Schneiter zwar nicht. Aber ihre Motion macht deutlich, wo sie die verbleibende Daseinsberechtigung einer öffentlich finanzierten Entwicklungszusammenarbeit ortet: «Bilaterale Hilfe soll sich auf Staaten konzentrieren, die bereit sind, eine Verknüpfung von EZA mit Migrationsfragen zu akzeptieren.»

Solcherlei Bestrebungen werden auf politischer Ebene zwar schon länger diskutiert. Dass dies aber nicht nur aus ethischen Gründen fragwürdig, sondern an sich ziemlich widersinnig ist, ist nicht nur InsiderInnen bekannt: In der NZZ etwa wurde im letzten Jahr in mehreren Artikeln und Kommentaren mit Besorgnis darauf hingewiesen, dass das eigentlich als grundlegend geltende Ziel der EZA – die Bekämpfung der Armut in der Welt – nicht migrationshemmend wirke, sondern im Gegenteil die Mobilität der Menschen in den Zielländern tendenziell erhöhe. Und dennoch haben die Forderungen der PolitikerInnen im Bundesrat einen gewichtigen Fürsprecher: Aussenminister Ignazio Cassis (FDP), dem das Deza unterstellt ist, hat seit seinem Amtsantritt im November 2017 schon mehrfach durchblicken lassen, dass er eine entsprechende Neuausrichtung der EZA anstrebt. Überhaupt soll die Deza unter Cassis künftig noch mehr auf die Eigeninteressen der Schweiz zugeschnitten werden – ganz im Sinne seiner nachdrücklich geäusserten Auffassung, wonach Aussenpolitik in erster Linie Innenpolitik ist.

Bald könnte sich zeigen, wie stark die Deza künftig von Cassis’ Prämisse geprägt sein wird. Voraussichtlich im Sommer 2020 soll das Parlament nämlich die neue «Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit» des Aussendepartements verabschieden, in der die Rahmenkredite und die strategische Ausrichtung der EZA für die Jahre 2021 bis 2024 festgelegt werden. Klar ist jetzt schon, dass sie sich von den vorhergegangenen Botschaften mindestens in zweierlei Hinsicht deutlich unterscheiden wird: Gemäss Ankündigung darf sie unter Cassis, der ein antibürokratisches Image pflegt, anstatt wie bisher Hunderte Seiten nur noch höchstens fünfzig Seiten umfassen. Und zudem wird die Botschaft erstmals ein Vernehmlassungsverfahren durchlaufen. Gemäss Mutmassungen soll damit eine brenzlige Situation wie im September 2017 vermieden werden: Damals kam unter Cassis’ Vorgänger Didier Burkhalter die aktuelle Botschaft nur sehr knapp durchs Parlament, nicht zuletzt, weil zahlreiche NationalrätInnen das seit 2011 bestehende Ziel kippen wollten, wonach die Schweiz der EZA jährlich einen Betrag bereitstellt, der mindestens 0,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts entspricht. Gut möglich, dass eine solche Zitterpartie diesmal verhindert werden soll, indem Kritik an der bundesrätlichen Vorlage frühzeitig miteinbezogen wird.

Die Vernehmlassung startet voraussichtlich im Mai. Die Eckpfeiler der Vorlage sind aber bereits bekannt, und sie wirken teils wie vorauseilender Gehorsam gegenüber den bürgerlichen StimmungsmacherInnen: «Die strategische Wechselwirkung zwischen Migrationspolitik und internationaler Zusammenarbeit soll intensiviert werden», verkündete die Deza an ihrer Jahresmedienkonferenz Anfang Februar, und eine geografische Fokussierung auf migrationspolitisch bedeutsame Schwerpunktregionen solle vorgenommen werden. Dass darüber hinaus «vermehrt wirtschaftliche Aspekte im Zentrum stehen» sollen und «das Potenzial des Privatsektors» ebenfalls «stärker mobilisiert werden» soll, erinnert an die Vision einer «Seidenstrasse der Schweiz», wie sie CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter geäussert hat. Dabei wird schon die bisherige Kooperation der Deza mit profitorientierten Grossunternehmen von zahlreichen Organisationen heftig kritisiert.

Linkes Hoffen auf die Bevölkerung

Steht der EZA also ein bürgerliches Powerplay bevor? Wird sie bald noch stärker in den Dienst des wirtschaftlichen und migrationspolitischen Eigennutzes gestellt? «So eindeutig ist das nicht», sagt dazu Eva Schmassmann, die für die entwicklungspolitische Denkfabrik Alliance Sud in der Beratenden Kommission für internationale Zusammenarbeit des Bundes sitzt. «Im Rahmen der Vernehmlassung könnte auch eine öffentliche Diskussion aufkommen, und in der Bevölkerung ist nach wie vor eine grosse Solidarität spürbar.» Die Linke könne dann etwa daran erinnern, dass sich die Schweiz 2015 zur Umsetzung der Agenda 2030 der Uno bekannt hat. Und deren Ziele umfassen neben der Bekämpfung von Armut und Hunger auch den Kampf gegen globale Ungleichheit. «Natürlich stellt sich die Frage, wie die Parteien das Thema in diesem Wahljahr aufgreifen», sagt Schmassmann. Zuletzt sei aber gerade auch in der Klimadebatte ein Bewusstsein für die Verantwortung der Schweiz gegenüber der Welt sichtbar geworden, das sich auch in Bezug auf die EZA schärfen liesse. «Was hier entschieden wird, hat Konsequenzen im Ausland», sagt Schmassmann, «oder anders gesagt: Innenpolitik ist eben auch Aussenpolitik.»

Gerade deswegen sollte indes nicht vergessen werden, dass auch die Entwicklungspolitik an sich einer kritischen Betrachtung von links unterzogen werden sollte. Denn immerhin wird hier in der Schweiz über Milliardensummen entschieden, die auf der ganzen Welt investiert werden und deren Konsequenzen einer genauen Analyse bedürfen. Bloss gibt es im Parlament kaum Raum für eine linke Kritik am Status quo, denn seit Jahren findet ein wiederkehrendes Schauspiel mit klar verteilten Rollen statt: Die EZA kommt unter rechten und bürgerlichen Druck, während die Linke sich schützend davorstellt. «Es ist manchmal ernüchternd», sagt dazu SP-Nationalrätin Claudia Friedl, Mitglied der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats: «Anstatt über Inhalte zu reden, befindet man sich ständig in einem Abwehrkampf.» Eine Gelegenheit, um aus dieser defensiven Rolle herauszukommen, sieht Friedl in der Konzernverantwortungsinitiative, die in der Bevölkerung auf viel Zuspruch stösst. «Indem endlich wirtschaftliche und steuerpolitische Fragen diskutiert werden, können wir davon wegkommen, nur Almosen in Form von Entwicklungsgeldern in die Länder des Südens zurückzuschicken.»

Ob sich im Rahmen der kommenden Vernehmlassung tatsächlich eine öffentliche Debatte lancieren lässt, die nicht zwangsläufig dem bürgerlichen Populismus in die Hände spielt, bleibt abzuwarten. Im schlechtesten Fall muss die parlamentarische Linke zwingend über die Bücher: Denn wofür kämpft man überhaupt noch, wenn die EZA losgelöst von einem globalen Solidaritätsgedanken lediglich als Massnahme zur Migrationsabwehr und Wirtschaftsförderung angelegt ist? «Ich glaube nicht, dass es so weit kommt», sagt Claudia Friedl. «Aber falls es gar nicht mehr um die Ziele der Agenda 2030 geht, müssen wir uns echt überlegen, welchen Beitrag wir dazu noch leisten wollen.»