Assange: Aufschub, aber kein Sieg

Die gute Nachricht ist: Julian Assange wird nicht sofort an die USA ausgeliefert. Das gab der High Court in London am Dienstag bekannt. Doch abgesehen von diesem vorläufigen Urteil – der endgültige Entscheid wird am 20. Mai fallen – ist rein gar nichts gut an diesem Gerichtsverfahren.

Um die Dimension dieses Falles zu erfassen, lohnt es sich, die Zeit vierzehn Jahre zurückzudrehen. 2010 veröffentlichte die von Assange gegründete und entwickelte Enthüllungsplattform Wikileaks mehr als 250000 geheime militärische und diplomatische US-Dokumente – in Zusammenarbeit mit renommierten Zeitungen wie der «New York Times», dem «Guardian» oder dem «Spiegel». 

Das Material deckte Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen von US-Streitkräften im Irak und in Afghanistan auf. «Assange als journalistischer Verleger und Wikileaks haben Grossartiges für den Journalismus geleistet», ordnet die Organisation Reporter ohne Grenzen die damaligen Veröffentlichungen ein. Das Vorgehen hätte die Tür aufgestossen für einen Journalismus, der heute prägend sei: grosse Datenmengen in internationalen Kooperationen zu publizieren und die dafür nötige Kommunikation so gut wie möglich zu sichern.

Die USA sahen das anders. Ganz anders. Statt die dokumentierten Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu verfolgen, gingen sie mit aller Härte gegen Wikileaks und den heute 52-jährigen Assange vor. Wegen Verletzung des Spionagegesetzes, das aus dem Jahr 1917 stammt, drohen dem gebürtigen Australier bis zu 175 Jahre Haft in den USA. Doch auf dem Spiel steht sehr viel mehr als ein einzelnes Schicksal, wie Reporter ohne Grenzen festhält: «Käme es zu einer Verurteilung, könnte die US-Regierung in Zukunft allen Medienschaffenden den Prozess machen, die über Geheimnisse des Staates berichten. Das könnte verheerende Folgen für die Pressefreiheit haben».

Die Jagd der US-Behörden nach Assange und Wikileaks zog bald gravierende Konsequenzen nach sich. Im Juni 2012 suchte er Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft in London – und hat seither nie wieder einen Tag draussen verbracht. Im April 2019 verhafteten die britischen Behörden Assange und brachten ihn ins Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Die dortigen Haftbedingungen taxierte der ehemalige UN-Sonderberichterstatter, der Schweizer Völkerrechtsprofessor Nils Melzer, als Folter. Vor zwei Jahren schliesslich entschied das britische Innenministerium – gestützt auf einen Gerichtsbeschluss – die Auslieferung von Assange an die USA zu genehmigen. Seine Anwält:innen legten dagegen Berufung ein.

Am Dienstag hat das entsprechende Gericht ein vorläufiges Urteil gefällt: Sechs von neun Punkten des Berufungsantrages lehnt es ab. Drei Punkte hingegen seien noch nicht hinreichend geklärt: Ob Assange bei einem Verfahren in den USA die gleichen Grundrechte beanspruchen könne wie US-Staatsbürger:innen und ob er sich auf das Recht auf freie Rede berufen könne. Zudem müsse sichergestellt sein, dass ihm nicht die Todesstrafe drohe.

Die US-Regierung hat nun drei Wochen Zeit, «zufriedenstellende Zusicherungen» nachzuliefern, sodass das Gericht in London ein definitives Urteil fällen kann.

Für Assange sind das düstere Aussichten. Wie Human Rights Watch in einer umfassenden Analyse zu solchen «Zusicherungen» festhält, handelt es sich dabei um «bilaterale politische Vereinbarungen, die keinen Rechtscharakter und keine Rechtskraft haben». Assange bliebe als letzter Ausweg nur noch der langwierige Weiterzug vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg.