«Einige Herren sagten etwas dazu»: Auch eine Geschichte des Widerstands

Nr. 15 –

Welche fatalen Folgen Männerbünde für das Leben und Werk von Frauen haben, zeigt Nicole Seifert in ihrem Buch zu den Autorinnen der Gruppe 47.

Barbara König steht auf einem Balkon
Von männlichen Kollegen zum Verschwinden gebracht: Barbara König. Foto: Barbara Niggl Radloff

Nicht jede Idee muss umgesetzt werden. Die Entstehungsgeschichte der Gruppe 47, der wahrscheinlich einflussreichsten Institution der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit, mutet im Rückblick bizarr an. Da hatten sich im Jahr 1947 ehemalige Wehrmachtssoldaten zusammengetan, um sich gemeinsam um die deutsche Literatur nach dem Krieg zu kümmern. Die Gruppe, zu der weitere Autor:innen stiessen, fand an abgeschiedenen westdeutschen Orten jeweils für einige Tage zusammen. Meist junge und noch wenig bekannte Autor:innen trugen ihre literarischen Texte vor, die anschliessend im kleinen Kreis kritisiert und besprochen wurden.

«Antifaschistisch» sollte das Selbstverständnis der Gruppe sein, nur durfte der Faschismus – zwei Jahre nach der NS-Diktatur – nicht zum Thema gemacht werden: Hans Werner Richter, der die Gruppe gegründet hatte und über zwanzig Jahre ihr vorsitzender Patriarch blieb, wollte es so. Überhaupt hatte es sein Regelwerk in sich. Er allein entschied, wer an die Tagungen eingeladen wurde: «Schöne Mädchen von 15 bis 45 für das Fest», wünschte er sich einmal von Walter Höllerer, dem Gastgeber der Tagung von 1962. Die Lesenden hatten sich vorne direkt auf einen Platz neben Richter zu setzen – und mussten bei der Diskussion zum eigenen Text schweigen. Richter wollte «eine Art Corpsgeist auch unter den linken Literaten […] züchten».

Obsessive Körperbewertungen

Das generische Maskulinum ist hier kein Fehler. Männer dominierten die Gruppe 47. Bis auf deren bekannteste Autorinnen, Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger, haben nur wenige im kollektiven Gedächtnis überdauert. Oder wer kennt heute noch Ruth Rehmann, Ingrid Bachér, Ilse Schneider-Lengyel, Ingeborg Drewitz, Barbara König, Gabriele Wohmann, Gisela Elsner, Christine Koschel, Christa Reinig, Griseldis L. Fleming, Helga M. Novak, Elisabeth Borchers, Elisabeth Plessen, Barbara Frischmuth oder Renate Rasp?

Die Männer sahen sich trotz Überzahl rasch in ihrer Position gefährdet, wie folgende Anekdote zeigt: An der Tagung von 1958 in Grossholzleute waren ganze vier Autorinnen anwesend, bei vierzig Autoren. Dies veranlasste einige dazu, von einer «Frauentagung» zu sprechen.

Die Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin Nicole Seifert versammelt in ihrem wichtigen Buch «‹Einige Herren sagten etwas dazu›. Die Autorinnen der Gruppe 47» viele solcher Geschichten. Sie sprechen eine deutliche Sprache: Literaturkritik wie Kollegen betrachteten die Frauen nicht als ernst zu nehmende Autorinnen und machten damit auch ihre Texte verächtlich. Geradezu obsessiv bewerteten sie die Körper der Autorinnen, deren Haare, Make-up, Gewicht. Richter nannte Barbara König eine «rachsüchtige Katze», die Wochenzeitung «Die Zeit» fand, Gisela Elsner sei eine «kalte Sphinx». «Die männliche Rede über das Weibliche», so Seifert, habe sich vor das Werk gestellt. Und beim Reden blieb es nicht: Die Kollegen belästigten die Autorinnen an den Tagungen auch, legten sich in deren Zimmern nackt aufs Bett, versteckten sich in den Schränken. Barbara König verpasste einem «einen sichtbaren Denkzettel».

Seifert analysiert die weitreichenden Folgen eines solchen «männerbündischen Zusammenhang[s]» – an der Gruppe 47 kam nicht vorbei, wer im Deutschland der Nachkriegszeit als Autor:in erfolgreich sein wollte – und arbeitet anhand der Biografien und Werke der Autorinnen einen bisher unsichtbar gehaltenen Teil der deutschen Literaturgeschichte auf. Es gelingt ihr, die Geschichte der Gruppe 47 neu zu erzählen, ohne dass die Gruppe ihre Autorinnen noch einmal überschatten würde: Es ist eine Geschichte auch des Widerstands und der Verbündung von Frauen.

Doppelte Verdrängung

Schon in ihrem Sachbuchdebüt «FrauenLiteratur» (2021) hatte Seifert eindrücklich dargelegt, dass die Tilgung von Autorinnen aus der Literaturgeschichte kein Zufall ist, sondern systematisch geschieht. Ihr neues Buch liefert nun ein Fallbeispiel, das nichts an Aktualität eingebüsst hat. Die Gruppe 47 wollte eine neue Literatur und Sprache prägen, aber eben nur für die einen. So kamen Autor:innen, die während der NS-Diktatur ins Exil mussten, für die Gruppe lange Zeit gar nicht erst infrage.

Wie Antifaschismus so genau funktionieren sollte, fragte sich auch Ingeborg Bachmann. Im Rückblick auf eine Tagung der Gruppe notierte sie: «Am zweiten Abend wollte ich abreisen, weil ein Gespräch, dessen Voraussetzungen ich nicht kannte, mich plötzlich denken liess, ich sei unter deutsche Nazis gefallen.» Der Umgang der Gruppe 47 mit den Frauen machte diese zu den «Anderen» und «hatte fatale Folgen für die Autorinnen und deren Aussenwahrnehmung, und das auf Jahrzehnte». Die Verdrängung der Autorinnen – vonseiten der Kollegen, der Rezeption und der Literaturgeschichtsschreibung – geschah nicht nur über das Geschlecht, sondern auch darüber, welche Themen sie in ihrer Literatur aufbrachten. Es waren nämlich Autorinnen, die in ihren Texten auf die Kontinuität faschistischer Gewalt hinwiesen: in den Institutionen, den Familien und Geschlechterbeziehungen. Ihre Texte sind bis heute aktuell, klug und scharfsichtig geblieben. Höchste Zeit, sie zu lesen.

Nicole Seifert liest am Mittwoch, 24. April 2024, um 19 Uhr in Basel im Literaturhaus. www.literaturhaus-basel.ch

Buchcover von «‹Einige Herren sagten etwas dazu›. Die Autorinnen der Gruppe 47»
Nicole Seifert: «‹Einige Herren sagten etwas dazu›. Die Autorinnen der Gruppe 47». Verlag Kiepenheuer & Witsch. Köln 2024. 352 Seiten. 34 Franken.