Sozialhilfe: Ein wegweisendes Urteil

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Da verliert jemand ein paar Jahre vor der Pensionierung die Arbeit, nach vergeblicher Stellensuche wird er dann irgendwann ausgesteuert. Gut, wird er oder sie dabei womöglich denken, immerhin gibt es ja noch die Sozialhilfe. Das sind zwar höchstens tausend Franken pro Monat – aber um die Zeit bis zum 65. Lebensjahr zu überleben, mag das grade noch reichen.

So in etwa mag es sich auch ein Mann im Kanton St. Gallen gedacht haben, als er sich beim Sozialdienst seiner Wohngemeinde meldete. Dann die böse Überraschung: Statt ihm monatlich die rund tausend Franken zu überweisen, stellte der Dienst die Sozialhilfeleistungen komplett ein. Schliesslich, so die Begründung der Behörden, könne er ja bis zum Bezug der AHV-Rente von seinem angesparten Altersguthaben leben. Die Folge: Noch vor der Pensionierung des Mannes wären alle seine Guthaben in der zweiten Säule aufgebraucht gewesen.

Im Auftrag des Mannes ist die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht gegen den Entscheid vor Gericht gezogen. Ausgehend von diesem Fall, hat nun das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen als erstes Gericht der Schweiz entschieden, dass mit einem solchen Vorgehen der bundesrechtliche Vorsorgeschutz verletzt wird. Das Gericht bezieht sich dabei auf verschiedene Bundesgesetze, die den Schutz von Vorsorgeguthaben garantieren. In seiner Botschaft zu den Überbrückungsleistungen hat zudem auch der Bundesrat festgehalten, dass Pensionskassenguthaben nur ergänzend zur AHV-Altersrente aufgelöst werden sollen.

Das Urteil des St. Galler Verwaltungsgerichts kann als wegweisend bezeichnet werden – denn eine ähnliche Praxis ist auch in allen anderen Kantonen anzutreffen. Der Entscheid, der demnächst rechtskräftig werden dürfte, ist zwar für andere Kantone nicht rechtsverbindlich; dazu bräuchte es einen entsprechenden Bundesgerichtsentscheid. Doch gerade in Kantonen wie dem Thurgau, wo ein solches Vorgehen der Sozialbehörden gang und gäbe ist, wird es für die Gemeinden schwieriger, eine schlüssige Begründung für die Umgehung der bundesrechtlichen Vorgaben zu liefern.