Burkaverbot: Trau nicht den Wertepredigern

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Die erste Umfrage zur «Burkainitiative», die am 7. März zur Abstimmung kommt, lässt aufhorchen: 63 Prozent der Befragten befürworten ein Vollverschleierungsverbot. Das Anliegen findet Zustimmung weit über das rechte Lager hinaus: Eifrig wirbt etwa Mitte-Politikerin Marianne Binder für die Initiative. Aber auch manch linke Feministin liebäugelt aus dem Argument der Gleichberechtigung heraus mit einem Ja. Die hohen Zustimmungswerte zeigen: Die Argumente der BefürworterInnen sind eingängig. Und falsch.

Ein bisschen mutet die Burkainitiative an wie aus der Zeit gefallen: Das Egerkinger Komitee, das sie lanciert hat, wirbt auf seiner Website mit dem Slogan «Stopp der Islamisierung der Schweiz». Der Absender also verhehlt nicht, dass die Initiative in ihrem Kern ausgrenzend ist. Ebenso wie mit seiner Minarettinitiative von 2009 betreibt das SVP-nahe Komitee zudem reine Symbolpolitik: In der Schweiz leben ein paar Dutzend vollverschleierte Frauen, ein Burkaverbot wäre ein bürokratischer Leerlauf.

Die Initiative ist aber nicht bloss unverhältnismässig, sie verstösst fundamental gegen die Freiheitsrechte eines demokratischen Staates. Die BefürworterInnen nämlich argumentieren: Man müsse Burka oder Nikab nicht tolerieren, weil sie Ausdruck eines extremistischen Islamismus seien und damit die freiheitliche westliche Lebensweise bedrohten. Weil die Initiative auf die Musliminnen zielt, erkennen wohl viele nicht, dass ein solcher Grundsatz auf sie selber zurückfallen könnte. Wer bestimmt denn, welche Ideologien, Glaubensvorstellungen und Kleider für die Freiheit stehen? Wenn Grundrechte nur für die Gruppen gelten sollen, die eine Mehrheit nicht irritieren, könnte es auch Sozialistinnen treffen, Jung-SVPler oder andere Gläubige.

Manche Feministinnen stellen sich auf den Standpunkt, die Vollverschleierung gehöre nicht zum Islam. Das Tragen des Nikab (Burkas werden in Europa kaum gesichtet) habe demnach nichts mit Religionsfreiheit und damit der Ausübung von Grundrechten zu tun. Ausserdem würden die Frauen zum Tragen gezwungen, man müsse sie also aus ihrer Unterdrückung befreien. Europäische Studien haben das Gegenteil gezeigt: Ein Grossteil der befragten Frauen gab an, sich aus eigener religiöser Überzeugung zu verhüllen. Die Mehrheit der Nikabträgerinnen wurde im Westen sozialisiert und ist durchschnittlich bis sehr gut gebildet.

Ihre Überzeugungen muss niemand teilen. Zudem leiden freilich auch Musliminnen unter patriarchalen Mustern; und in manchen islamischen Gesellschaften oder Familien verfestigen sich diese aufgrund sozioökonomischer Entwicklungen, aber auch aus Wechselwirkungen mit einer diskriminierenden Mehrheitsgesellschaft heraus. Klar ist auch, was unterdrückten Frauen am meisten hilft: Kontaktangebote und Rechtsstaatlichkeit.

Zu glauben, es gehe den Männern des Egerkinger Komitees um die Befreiung der Frau, wäre bizarr. Feministinnen schufen den Begriff «Gleichstellungsnationalismus». Will heissen: Sexismus und Unterdrückung ortet man nur bei den anderen. Selbst ruhen sich die rechten Männer auf den Errungenschaften der Mehrheitsgesellschaft aus – die sie zwar nie unterstützten, die sich nun aber vorzüglich zur Abwertung der «anderen» eignen – wenn etwa nur muslimische Männer der Homophobie bezichtigt werden.

Auch angeblichen Feministinnen wie Marianne Binder darf man nicht auf den Leim gehen. Sie mag zwar glauben, es gehe ihr um die Frauen. Doch argumentiert Binder aus der Vorstellung einer christlichen Leitkultur heraus: Sie war in der CVP eine der treibenden Kräfte hinter der 2019 lancierten «Wertedebatte». Präsident Gerhard Pfister sagte damals: «Der Islam gehört nicht zur Schweiz.»

Der Bundesrat hat sich zwar gegen die Initiative gestellt. Justizministerin Karin Keller-Sutter, die jüngst mit Überengagement für die Wirtschaft und die E-ID auffiel, tritt jedoch äusserst verhalten auf. Zur «umstrittenen Frage» der Religionsfreiheit wolle sie sich nicht äussern, sagte sie. Die Initiative sei aber unnötig und schade dem Tourismus. Eine solche Gegenwehr reicht definitiv nicht.