Hanau-Ermittlungen: Auf beiden Augen blind

«Warum hat der hessische Verfassungsschutz den rechtsextremen Tobias R. nicht auf dem Schirm gehabt? Weshalb übernimmt niemand Verantwortung dafür, dass der Polizeinotruf nicht richtig funktioniert hat? Wer ist schuld daran, dass der Notausgang in der Arena-Bar verschlossen war?» – Mit diesen und anderen ungeklärten Fragen rund um den rechtextremistischen Anschlag in Hanau 2019 schliesst der Satiriker und Journalist Jan Böhmermann sein neustes, vielbeachtetes Video aus seiner Sendung «ZDF Magazin Royale». Böhmermann listet darin nicht nur bereits bekannte Ungereimtheiten zum Anschlag auf, sondern liefert neue Informationen rund um die Arbeit des hessischen Staatsschutzes, des Innenministeriums und der Polizeikräfte des Bundeslands.

Aus seiner Recherche geht hervor, dass die Leitungen des Polizeinotrufs auch deswegen besetzt waren, weil die Einsatzkräfte selbst über die Notrufnummer 110 in Kontakt mit der Zentrale standen. Böhmermann spielt im Video eine Audioaufnahme ab, die dies belegt. Vili Viorel Păun, eines der Opfer des Anschlags, versuchte kurz vor seiner Ermordung vergebens, beim Notruf der Polizei Hanau durchzukommen.

Die spärlich besetzte Notrufstation der Polizei Hanau und ihre explizite Nichteingliederung ins hessische Notrufsystem habe der damalige Chef der südosthessischen Polizei, Roland Ullmann, zu verantworten. Diese Versäumnisse wurden nach kurzen Ermittlungen nicht weiter untersucht. Im Gegenteil: Ullmann wurde im Juli 2020 zum höchsten Polizisten Hessens befördert und war bis zu seiner Pensionierung im September 2022 Landespolizeipräsident des Bundeslands. Zur Verantwortung gezogen wurden hingegen zwei polizeiliche Helikopterpiloten: Während des Einsatzes hatten sie sich über die unprofessionelle und unkoordinierte Arbeit der Polizeikräfte beklagt. Gegen beide wurde nach dem Anschlag ein internes Disziplinarverfahren eingeleitet – weil sie über Kolleg:innen gelästert hätten.

Böhmermann verweist im Video auch auf den Vater des Täters: Dieser provoziert und erniedrigt seit der Tat immer wieder die Opferfamilien. Die Behörden sehen keinen Handlungsbedarf und lassen ihn bislang gewähren.

Alles in allem zeichnet die Recherche ein katastrophales Bild der hessischen Sicherheitskräfte und Ermittlungsbehörden – Böhmermanns Fazit: «Der Anschlag von Hanau hätte verhindert werden können.» Böhmermann selbst hat das Video am Wochenende mit dem Hashtag #abgeschlossen auf X gepostet. Damit bezieht er sich ironisch auf die Aussage des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU), der im Juli in der «Frankfurter Rundschau» sagte: «Hanau ist abgeschlossen.»

Dabei gibt es im Fall doch noch so viele ungeklärte Fragen.