Wortfindungsprobleme

Eine Zeit lang wollte ich Lokführerin werden. Eigentlich war ich damals im Studium, aber mich begeisterte die Idee, einen Zug zu fahren. «Und du, was machst du so?» – «Ich bin Lokführerin.»

Diese Geradlinigkeit, diese Einfachheit! Da der Zug mit dem Lokführer, dort die Fahrgäste. Wenn der Zug im Depot steht, ist Feierabend. Diese Klarheit geht der Arbeit, die es bei mir stattdessen geworden ist, komplett ab. Alles ist ambivalent. Das fängt schon bei den Wörtern an.

Jedes Mal, wenn ich die Leute benennen will, die wir ansprechen möchten, habe ich ein Wortfindungsproblem. Welches Wort gibt es, das alle Menschen bezeichnet, die nicht geflüchtet oder aber schon vor längerer Zeit geflüchtet sind und so weit angekommen, dass sie sich auskennen und weitere Ankommende unterstützen können? Ich meine die Freiwilligen, bevor sie Freiwillige werden. Ich meine die mit den stabilen Lebensumständen, die Privilegierten, die mit den gesicherten Rechten, die mit den einwandfreien Deutschkenntnissen. Da ist zum Beispiel dieser umständliche Satz zu unserem Tandemprojekt: «Eine geflüchtete Person und eine Person, die bereits länger in der Schweiz lebt, treffen sich regelmässig zum Austausch auf Augenhöhe.» Sie merken schon, wir haben hier das Wort «Einheimische» umschifft, das da früher mal stand, das seine Tentakel allerdings zu weit – bis zum Geburtsort der Eltern in Oberhelfenschwil – ausstreckt. Nebensatzkonstruktionen sei Dank finden wir dann jeweils trotz Bezeichnungsschwierigkeiten Personen, die sich zum Engagement verpflichten. Jetzt kann ich die Gefundenen getrost «Freiwillige» nennen, ein wunderbar unverfängliches Wort! Es hat so was Leichtfüssiges, so was Harmloses.

Aber dann gehts mit dem Unwohlsein an anderer Stelle weiter: Auch Geflüchtete engagieren sich freiwillig, bloss wird dies kaum gesehen. Jede Woche kommen Asylsuchende zu uns ins Büro, die von Landsleuten begleitet werden, welche für sie übersetzen. Wir aber schreiben ständig von «Geflüchteten und Freiwilligen», als wärs ein Gegensatzpaar wie Yin und Yang. «Wir laden Geflüchtete und Freiwillige herzlich zum Fest ein.» Aua! Da möchten wir eine Gemeinschaft feiern, die wir bereits in der Einladung zweiteilen. Sehr unschön. Unterdessen laden wir jeweils einfach «alle» ein, in der Hoffnung, dass dann keine kommen, die nur ans Gratisbuffet wollen.

Aber was ist hier unschön? Es ist mit Sicherheit nicht das Solinetz, das schuld daran ist, dass Menschen in verschiedene Kategorien eingeteilt werden. Und es wäre auch nicht so schlimm, zu sagen, wies beim Solinetz halt grad so ist, wenn allen klar wäre, dass menschliche Identitäten nie bestimmt sind. Dass Menschen Möglichkeitswesen sind. Dass zwar Welten zwischen den Möglichkeiten liegen, die die einen haben und die anderen nicht, dass aber keine Welten liegen zwischen den Menschen. Bei meiner Arbeit pendle ich hin und her zwischen den Menschen und ihren Möglichkeiten, zwischen den Orten, wo sie stehen, und den Orten, wo sie hinmöchten, wie eine Lokführerin. Das Unwohlsein mit den Wörtern lässt mich manchmal innehalten, und das ist schon okay. Beim Zugfahren hätten mich die vielen Bahnhöfe vielleicht manchmal auch genervt.

Immer freitags lesen Sie auf woz.ch einen Text unserer Gastkolumnistin Hanna Gerig. Gerig ist seit acht Jahren Koleiterin des Vereins Solinetz, der sich für geflüchtete Menschen im Raum Zürich einsetzt. Ihre Arbeit gefällt ihr sehr. Und doch fragt sie sich manchmal, was sie da eigentlich tut; warum sie und warum das.

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