Was weiter geschah: Wie antisemitisch war der Raiffeisen-Gründer?

Nr. 17 –

Vor einem Jahr sorgte ein Komitee um den Historiker Hans Fässler mit einer Aktion vor dem Hauptsitz der Raiffeisen Schweiz in St. Gallen für Aufsehen. Dabei ging es um den Vorschlag zu einer Umbenennung des Platzes, der seit 2005 «Raiffeisen-Platz» heisst. Bereits 2021 hatten die Initiant:innen die Stadt darauf hingewiesen, dass Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888), der Gründer der katholischen Raiffeisen-Genossenschaftsbanken, ein Antisemit war.

Der Platz, an dem seit 1881 auch eine Synagoge steht, solle nicht länger einen Antisemiten ehren – sondern die Jüdin Recha Sternbuch (1905–1971), die in den 1930er Jahren in St. Gallen lebte, während des Zweiten Weltkriegs vielen Flüchtenden das Leben rettete und später unter anderem eine entscheidende Rolle dabei spielte, dass 1200 KZ-Häftlinge in die Schweiz ausreisen durften. Der für Platzbenennungen zuständige Stadtrat sagte damals, er wolle den Bericht zur Geschichte der Raiffeisen-Bewegung abwarten, den die Raiffeisen Schweiz kurz darauf beim Archiv für Zeitgeschichte der ETH in Auftrag gab.

Der nun vorliegende Bericht bestätigt das «antisemitisch kontaminierte Gründungsnarrativ» der Raiffeisen-Genossenschaft in Deutschland. Ebenso wird aufgezeigt, dass Friedrich Wilhelm Raiffeisen den Genossenschaftsgedanken mit einer ausgesprochen christlichen, gegen den Liberalismus gerichteten Wertorientierung verband, wozu «auch ein prononcierter Antisemitismus» gehörte, der bei den katholischen Raiffeisen-Ablegern in der Schweiz «auf günstigen Boden fiel». Das Narrativ des «jüdischen Wucherers», so der Bericht, gehörte bis weit in die Nachkriegszeit zur Raiffeisen-Geschichte. Hinweise auf Antisemitismus als Geschäftsmodell und eine Beteiligung an der Raubwirtschaft der Nazis hingegen seien keine zu finden (Bericht auf raiffeisen.ch). Raiffeisen selbst, so Georg Spuhler, der Leiter der Studie, sei «kein antisemitischer Ideologe» gewesen: «Als Raiffeisen lebte, war ein Antisemit jemand, der sich politisch gegen die Emanzipation der Juden wehrte. Das tat er nicht.»

Nun wird sich in der Stadtverwaltung eine Arbeitsgruppe für Namensgebungen mit dem Thema befassen. 

Nachtrag zum Artikel «Sternbuch statt Raiffeisen», WOZ Nr. 21/23.