Klimaschutz: Am heissen Brei vorbeidebattiert

Nr. 11 –

Das CO₂-Gesetz hat die Öffentlichkeit in den letzten Jahren intensiv beschäftigt. Einige Aspekte des wichtigsten Klimaschutzgesetzes der Schweiz wurden bis heute aber kaum diskutiert.

Immer wieder wurde das Gesetz, das die Emissionsreduktion von 2025 bis 2030 regeln soll, im Parlament zwischen den Räten hin- und zurückgereicht. Derzeit werden nun – voraussichtlich – die letzten Differenzen bereinigt.

Umstritten sind etwa noch die Subventionierung von Ladestationen für E-Autos, die Frage, ob für elektrisch betriebene Lastwagen die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe erlassen werden soll, sowie der an die Schweizer Reduktionsbemühungen anzurechnende Anteil der CO₂-Kompensationen im Ausland. Über viele Aspekte des wichtigsten Klimaschutzgesetzes wird dagegen überhaupt nicht debattiert.

In der EU verboten

Fünf Tonnen Treibhausgase pro Person werden in der Schweiz jedes Jahr emittiert. Hinzu kommen gemäss Bundesamt für Umwelt rund sieben Tonnen, die im Ausland anfallen. Einfach, weil sehr viel von dem, was wir konsumieren, nicht hier produziert wird. Seien das Handys, Peperoni oder T-Shirts: Kaum ein anderes Land der Welt verursacht so viele Emissionen im Ausland wie die Schweiz.

Die 2015 in Paris gemachten Reduktionsversprechen beziehen sich jedoch lediglich auf die fünf im Inland anfallenden Tonnen. Die Emissionen im Ausland werden im CO₂-Gesetz komplett ignoriert. Im Parlament war von Beginn an bloss umstritten, welchen Anteil der zu erzielenden Emissionsreduktion die Schweiz im Ausland erzielen möchte. Sollen es 25, 30 oder 33 Prozent sein? Dabei geht die Schweiz hier einen Sonderweg. Den Mitgliedstaaten der EU ist es nicht erlaubt, ihre Reduktionspflicht ins Ausland zu verschieben.

Die Schweiz hingegen hat für Kompensationsprojekte im Ausland bereits heute mit einer Vielzahl von Ländern bilaterale Klimavereinbarungen abgeschlossen. Der erste dieser Klimaverträge, derjenige mit Peru, war 2020 nicht nur der erste Klimavertrag der Schweiz mit einem anderen Land, sondern auch der allererste weltweit.

Ob diese Auslagerungspolitik unter den Regeln des Pariser Abkommens aber überhaupt erlaubt ist, bleibt fraglich. Denn der Artikel 6 des Abkommens sieht solche bilateralen Projekte zwar ausdrücklich vor, aber nur zur Umsetzung «höherer Ambitionen». Das Schweizer Ziel, netto null bis 2050, ist aber höchstens durchschnittlich ambitioniert.

Schlupflöcher werden beibehalten

Das Herzstück der Schweizer Klimagesetzgebung ist die CO₂-Abgabe. Sie ist eigentlich dafür da, Emissionen aus fossilen Brennstoffen einen Preis zu geben. Bezahlt wird die Abgabe etwa von Privatpersonen, die mit einer Ölheizung die Stube wärmen, oder von Unternehmen, die bei ihrer Produktion Erdgas einsetzen. Die 2021 in einer eidgenössischen Abstimmung abgelehnte Revision des CO₂-Gesetzes sah eine kontinuierliche Erhöhung der Lenkungsabgabe vor. Gemäss dem neuen Gesetz sollen nun fix 120 Franken pro Tonne Treibhausgase aus fossilen Brennstoffen gezahlt werden.

Aber nicht von allen: Das CO2-Gesetz kennt nämlich schon seit jeher zwei Mechanismen, die es manchen Emittenten erlauben, die Abgabe zu umgehen. Und zwar ausgerechnet den grössten: Konzerne aus Branchen, die sehr hohe Emissionen verursachen und zugleich im internationalen Wettbewerb stehen, können sich entweder mit einer sogenannten Zielvereinbarung mit Verminderungspflicht von der CO₂-Abgabe befreien lassen oder indem sie beim Schweizer Emissionshandelssystem (EHS) mitmachen.

Die meisten Unternehmen, die im EHS abrechnen dürfen, gehören zur Schwerindustrie. Die drei Zementhersteller Vigier, Jura Zement und Holcim rechnen ihre Treibhausgasemissionen genauso über dieses System ab wie die Chemiekonzerne BASF, Roche oder Lonza.

Zwar müssen die Firmen im EHS anstelle der CO₂-Abgabe für ihre Emissionen Verschmutzungsrechte abgeben. Diese werden an der Börse gehandelt und kosten momentan rund fünfzig Franken pro Tonne. Doch der Bund verteilte von 2013 bis 2020 zwischen 90 und 95 Prozent der Emissionsrechte umsonst – aus Angst vor einer Abwanderung der EHS-Konzerne.

Hätten diese für alle ausgestossenen Treibhausgastonnen gleich viel bezahlen müssen wie die Haushalte und die KMUs, dann hätte sie das drei Milliarden Franken gekostet. Während die Emissionen im gesamten Industriesektor von 2013 bis 2020 um rund zwanzig Prozent gesunken sind, reduzierten die EHS-Firmen ihre Emissionen in derselben Zeit nur um zehn Prozent. Handlungsbedarf hat das Parlament hier trotzdem nicht erkannt: An den Regeln, die unter dem neuen CO₂-Gesetz, also ab 2025, für die EHS-Firmen gelten, wird sich zumindest in den ersten Jahren kaum etwas ändern.

Künftig sollen sogar noch mehr Firmen die CO₂-Abgabe umgehen können. Denn die Möglichkeit, sich durch eine Zielvereinbarung davon zu befreien, wird ausgebaut. Ab 2025 steht dieses Instrument neu allen Firmen offen.

Und dies, obwohl ein jüngst veröffentlichter Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK), also des höchsten Prüforgans der Schweiz, deutliche Kritik übt: «Gemessen an der Höhe der Abgabenbefreiung, von der die Unternehmen profitiert haben, ist das Ergebnis enttäuschend», schreibt sie in ihrem Bericht. Zwar müssen Firmen, die dank einer Zielvereinbarung von der CO₂-Abgabe befreit sind, in einem Vertrag mit dem Bund festhalten, welche Klimaschutzmassnahmen sie umsetzen. Ganz grundsätzlich müssen sie aber nur Massnahmen zustimmen, die für sie wirtschaftlich tragbar sind. Deshalb erstaunt es wenig, dass die Betriebe laut der EFK mindestens vierzig Prozent der vertraglich festgelegten Massnahmen sowieso, also auch ohne Befreiung von der CO₂-Abgabe, umgesetzt hätten.

Wer nicht zahlt, profitiert trotzdem

Immerhin sollen die Unternehmen, die weiterhin von diesem Spezialdeal profitieren wollen, neu in einem Plan aufzeigen müssen, wie sie bis 2040 ohne Emissionen aus fossilen Brennstoffen wirtschaften wollen. Trotzdem erstaunt es, dass diese neue Regelung der Zielvereinbarung über den gesamten Gesetzgebungsprozess hinweg von keiner einzigen Partei kritisch hinterfragt wurde.

Der Hauptgrund dürfte sein, dass die Unternehmen das Instrument mögen. Und das ist verständlich: Laut der EFK haben die durch eine Zielvereinbarung abgabebefreiten Unternehmen von 2013 bis 2020 zusammen rund 900 Millionen Franken an CO₂-Abgaben eingespart. Reduziert haben indes auch sie weniger als durchschnittliche Industriebetriebe.

Statt die Abgaben zu zahlen, haben sie sogar noch Geld daraus erhalten. Die CO₂-Abgabe ist nämlich keine Steuer, sondern eine Lenkungsabgabe. Sie wird grösstenteils an die Haushalte und die Firmen zurückbezahlt. Aber nicht nur an die tatsächlich beteiligten, sondern eben auch an jene, die die Abgabe gar nicht bezahlen müssen. Immerhin das soll sich jetzt ändern – teilweise. Das jetzt in den Räten besprochene CO₂-Gesetz wird die Verteilung der Abgabe an Firmen mit Zielvereinbarung abschaffen. Die Firmen im Schweizer EHS sollen jedoch auch weiterhin Geld aus einem Topf erhalten, in den sie gar nichts einbezahlt haben.

Alex Tiefenbacher ist Redaktorin beim Onlinemagazin «Das Lamm», wo eine längere Version dieses Artikels erschienen ist. Sie ist Koautorin des Buchs «CO₂-Ausstoss zum Nulltarif» (Rotpunktverlag).