Unruhen in Ecuador: Drogenkrieg wie einst in Kolumbien

Nr. 3 –

Warum ein relativ friedliches Land innert weniger als einem Jahrzehnt in die Hände von kriminellen Banden gefallen ist.

Es war ein Konflikt mit Ankündigung. In der Woche zuvor hatte Diana Salazar gewarnt: «Es wird zu einer Eskalation der Gewalt kommen.» Die Generalstaatsanwältin von Ecuador hatte bereits 2022 Ermittlungen aufgenommen, die als «Caso Metástasis» bekannt sind. In der ersten Januarwoche erhob sie Anklage gegen eine ganze Reihe von hohen Richterinnen, Polizeioffizieren und Gefängnisdirektor:innen, die allesamt von kriminellen Banden korrumpiert worden seien und mit diesen zusammenarbeiten würden. Ein solcher Prozess stört die Geschäfte der Mafias empfindlich.

Um grösseren Unruhen vorzubeugen, besetzte das Militär eine Haftanstalt in der Hafenstadt Guayaquil, in der der mächtigste aller Bosse, José Adolfo Macías alias «Fito», einsass und von seiner Zelle aus über Mobiltelefone die Machenschaften seiner Bande Los Choneros leitete. Die Mafia, die ihren Namen von ihrem Gründungsort Chone ableitet, einem Städtchen in der Küstenebene, arbeitet mit dem mexikanischen Drogenkartell von Sinaloa zusammen. Macías sollte am nächsten Tag in ein Hochsicherheitsgefängnis verlegt werden. Doch als ihn die Soldaten in seiner Zelle abholen wollten, war er bereits verschwunden und ist seither nicht mehr aufgetaucht. Mutmasslich hatten ihn seine Informanten in den Justizbehörden gewarnt und ihm eine unauffällige Flucht ermöglicht.

Meutereien und Geiselnahmen

Das Vorgehen der Armee erstickte die befürchteten Unruhen nicht im Keim, sondern stachelte sie erst an. Das Leben in rund einem Viertel der 36 Gefängnisse Ecuadors wird von den dort einsitzenden kriminellen Banden kontrolliert, und die reagierten am Dienstag vergangener Woche auf das militärische Vorgehen mit Meutereien. Mehr als 200 Aufseher und Polizisten wurden als Geiseln genommen. Ausserhalb der Haftanstalten griffen Bandenmitglieder Polizeistationen an, fackelten Autos ab und lieferten sich Schiessereien mit Sicherheitskräften. Bis zum Abend gab es rund ein Dutzend Tote. Mitten in einer Nachrichtensendung wurde das Studio des Fernsehsenders TC Televisión von dreizehn bewaffneten Männern überfallen, die Journalist:innen und technische Angestellte als Geiseln nahmen. Einer der Maskierten sagte, bevor die Polizei das Studio stürmte, sie hätten eine Nachricht für die Regierung: «Legt euch nicht mit den Mafias an!»

Bei den Meutereien gelang mehreren Dutzend Mitgliedern von Los Lobos (Die Wölfe) der Ausbruch aus dem Gefängnis von Riobamba im Landesinnern. Die Bande arbeitet mit dem mexikanischen Drogenkartell Jalisco Nueva Generación zusammen. Und so, wie sich das Sinaloa-Kartell und jenes aus Jalisco in Mexiko blutige Kämpfe um Einflusszonen und Transportrouten für Drogen liefern, bekämpfen sich in Ecuador Los Choneros und Los Lobos. Daneben gibt es rund zwei Dutzend weitere Banden, die zusammen gut 20 000 Mitglieder haben.

Noch vor ein paar Jahren schien ein solches Szenario in Ecuador undenkbar. Das Land galt lange als eines der sichersten in Südamerika. 2016 lag die Mordquote mit 6 Fällen pro 100 000 Einwohner:innen und Jahr auf dem Niveau der USA, bis 2023 ist sie auf 40 gestiegen (in der Schweiz sind es 0,3). Über ecuadorianische Häfen wurden 2018 gemäss dem Uno-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung vierzehn Prozent der weltweiten Kokainproduktion verschifft, 2021 war dieser Anteil schon doppelt so hoch. Das Land, eingeklemmt zwischen den hauptsächlichen Kokainproduzenten Kolumbien und Peru, wurde zur Durchgangsstation – mit den üblichen Begleiterscheinungen: Bandenkriminalität, Schiessereien, Korruption.

Folgen der Wirtschaftskrise

Drei Faktoren machten dies möglich. 2016 hat die Regierung Kolumbiens einen Friedensvertrag mit der Guerilla der Farc geschlossen. Die war zuvor im Grenzgebiet zu Ecuador besonders stark, die Kartelle bekamen dort keinen Fuss auf den Boden. Seit die Guerilla verschwunden ist, rückten kriminelle Banden nach, die Gegend wurde zum wichtigen Drogenkorridor. Ecuador ist als Exportland für Kokain besonders geeignet: Es ist der weltweit grösste Bananenexporteur. In den unzähligen Containern, die jedes Jahr die Häfen des Landes verlassen, können zwischen den Früchten massenhaft Drogen versteckt werden.

2020 schlug dann die Covid-Pandemie in Ecuador besonders hart zu. Die folgende Wirtschaftskrise führte zu Massenarbeitslosigkeit, es gab Zehntausende Jugendliche ohne Perspektive. Kriminelle Banden können unter ihnen besonders leicht neue Mitglieder rekrutieren. Die neoliberale Politik, die unter Präsident Lenín Moreno (2017–2021) begann, von seinem Nachfolger Guillermo Lasso (2021–2023) verschärft wurde und vor allem im staatlichen Sektor Arbeitsplätze abbaute, hat dieses Potenzial noch vergrössert. Kriminalität wurde für viele zur Überlebensstrategie.

Präsident Daniel Noboa reagiert auf die Welle der Gewalt mit Repression. «Wir leben im Kriegszustand, da gelten andere Gesetze», sagte er letzte Woche in einer Radioansprache. Er rief den Ausnahmezustand aus und schickte das Militär auf die Strassen. Im Nachbarland Kolumbien hat der im Jahr 2000 ähnlich begonnene «Krieg gegen die Drogen» für fast zwei Jahrzehnte zu noch mehr Gewalt geführt.