Venezuela und Guyana: Unverhohlene Drohung mit einer Invasion

Nr. 50 –

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro wollte mit einer nationalistischen Kampagne von seinen Problemen ablenken. Das hat nicht funktioniert.

Nicolás Maduro präsentiert eine um die Region Essequibo erweiterte Karte von Venezuela
Zwist um einen Zipfel: Nicolás Maduro präsentiert eine um die Region Essequibo (ganz rechts unten) erweiterte Karte von Venezuela. Foto: Mariel Lopez, Getty Images

Da droht Venezuelas Präsident Nicolás Maduro seinem Nachbarland mit einem Eroberungskrieg – und niemand will es so richtig ernst nehmen. Guyanas Präsident Irfaan Ali gibt sich zwar öffentlich besorgt und hat den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angerufen. Der aber sah am vergangenen Freitag keinen Grund zum Handeln.

Dabei hatte Maduro seine Kriegsdrohung mit grossem Aufwand vorbereitet: Am 3. Dezember liess er das Volk in einer Abstimmung befragen, ob es der Meinung sei, dass zwei Drittel des östlichen Nachbarlands eigentlich zu Venezuela gehörten. Gemeint ist die Provinz Essequibo in Guyana, die rund viermal so gross ist wie die Schweiz. Nach Regierungsangaben gingen gut die Hälfte der wahlberechtigten Venezolaner:innen an die Urnen, 95 Prozent von ihnen hätten für die Einverleibung Essequibos gestimmt. Unabhängige Beobachter:innen vor Ort halten diese Zahlen für weit übertrieben. Maduro befahl dann tags darauf dem staatlichen Energiekonzern PDVSA, sofort mit der Ausbeutung der zu Essequibo gehörenden Öl- und Gasvorkommen zu beginnen. Wie anders als durch eine Invasion soll das gehen?

Der Streit zwischen Venezuela und Guyana ist schon über hundert Jahre alt. 1899 – Guyana war damals britische Kolonie – zogen Grossbritannien, die USA und Russland die Grenze zwischen den beiden Ländern durch den Dschungel. Die USA vertraten die Interessen Venezuelas, das keine diplomatischen Beziehungen zu Grossbritannien unterhielt, Russland war unabhängiger Schiedsrichter. Venezuela akzeptierte den Grenzverlauf. Erst 1966 stellte die damalige Regierung das Abkommen infrage: Essequibo, argumentierte sie, sei zu spanischen Kolonialzeiten Teil von Venezuela gewesen, später aber von Grossbritannien geraubt worden. So argumentiert auch Maduro.

Krise ohne Ende

Aber es gibt einen erheblichen Unterschied zu 1966: Damals war Essequibo ein weitgehend unerschlossenes Dschungelgebiet, in dem nur wenige Menschen lebten. Das ist zwar noch heute so – die Provinz hat weiterhin keine nennenswerte Infrastruktur und nur rund 300 000 Einwohner:innen. Doch 2015 wurden vor ihrer Küste Erdölfelder gefunden, die seit 2019 von internationalen Energiekonzernen ausgebeutet werden. Das bringt Guyana jährlich rund eine Milliarde US-Dollar an Einnahmen, die Wirtschaft des vorher bitterarmen Landes ist seither um gut sechzig Prozent gewachsen. In Venezuela aber schrumpft die Wirtschaft wegen Sanktionen der USA, Korruption und Missmanagement seit über einem Jahrzehnt. In so einer Lage ist eine florierende Nachbarprovinz eine Verlockung. Guyana war sich der Gefahr bewusst und hat schon 2018 vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag verlangt, den Grenzkonflikt zu klären. Ein Urteil aber wird noch Jahre auf sich warten lassen.

Venezuela braucht das Erdöl von Essequibo nicht. Das Land verfügt selbst über die weltweit grössten bekannten Reserven und ist nicht in der Lage, sie auszubeuten. Vor der Krise wurden bis zu 3,6 Millionen Barrel pro Tag gefördert, im vergangenen Jahr waren es nur noch gut 700 000. Wie der staatliche Ölkonzern PDVSA da auch noch die Vorkommen von Essequibo ausbeuten soll, bleibt Maduros Geheimnis. Die PDVSA-Anlagen sind heruntergekommen, Investitionen im Ölsektor gab es in den vergangenen Jahren fast nur von russischen Staatskonzernen – und neuerdings vom US-Konzern Chevron. US-Präsident Joe Biden hatte nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine und der damit verbundenen Verunsicherung der internationalen Energiemärkte auf Venezuelas Ölreserven geschielt, einige Sanktionen gelockert und damit das Engagement von US-Firmen ermöglicht.

Lula da Silva vermittelt

Was also steckt wirklich hinter Maduros Drohgebärden gegen Guyana? Phil Gunson von der International Crisis Group in Venezuela sagt es so: «Maduro muss sich die Nationalflagge aus wahltaktischen Gründen um die Schultern legen. Ein Konflikt mit dem Nachbarn ist da der perfekte Vorwand.» In der zweiten Hälfte des kommenden Jahres sollen in Venezuela Präsidentschaftswahlen stattfinden. Ein neuerlicher Sieg Maduros ist alles andere als sicher. Zehn Jahre der schweren Wirtschaftskrise haben schon ein Viertel der Bevölkerung zur Flucht aus dem Land veranlasst. Maduro versucht deshalb, die Konkurrenz auszuschalten. Der rechten Politikerin María Corina Machado, Präsidentschaftskandidatin eines Oppositionsbündnisses, wurde schon Ende Juni für fünfzehn Jahre die Ausübung öffentlicher Ämter verboten. Anfang Dezember folgten Haftbefehle gegen ein Dutzend weitere Oppositionspolitiker:innen. Mit einer nationalistischen Kampagne unter dem Motto «Wir holen uns Essequibo zurück» wollte Maduro davon und von den Wirtschaftsproblemen ablenken.

Das scheint nicht funktioniert zu haben. Selbst der Präsident rudert inzwischen zurück. Am Wochenende liess er verlauten, er habe ein Vermittlungsangebot des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva akzeptiert. Danach sollen hochrangige Delegationen Venezuelas und Guyanas die Grenzstreitigkeiten auf dem diplomatischen Weg lösen. Ein erstes Treffen soll es Ende dieser Woche geben.