«Kosmos»: Die verlorene Wette

Nr. 49 –

Das Zürcher Kulturzentrum Kosmos geht Konkurs. Wer nach seiner Zukunft sucht, schaut am besten auf den Boden, auf dem es steht.

Aussenbereich des Zürcher Kulturhaus Kosmos in der Dämmerung
Am Ausgang der turbokapitalistischsten Strasse der Schweiz: Das Zürcher Kulturhaus Kosmos. Foto: Florian Bachmann

Die Aussage zum Ende könnte brutaler nicht sein: «Das Kosmos blieb nur Vision ohne nachhaltige Machbarkeit. Der Betrieb bleibt ab sofort geschlossen.» Die beiden letzten Verwaltungsräte, die erst vor drei Monaten eingestiegen sind, haben am Montag die Bilanz deponiert. Das Kulturhaus meldet Konkurs an. Gewiss mag man die Frage aufwerfen, wen diese Meldung ausserhalb von Zürich kümmert. Doch wer sich für Kultur interessiert und für öffentliche Räume, sollte nicht mit den Schultern zucken. Denn das Scheitern des «Kosmos» steht für eine ungemütliche Entwicklung, die längst nicht nur Zürich betrifft.

Das «Kosmos» setzte auf die Gentrifizierung – und wurde von dieser überrollt.

So heftig um das 2017 eröffnete Lokal gestritten wurde, so intransparent blieb seine Geschäftstätigkeit für Aussenstehende. Doch die Geschichte lässt sich auch fern von Aktienanteilen und Bilanzzahlen erzählen. Sie handelt von Generationen, die den Umbruch in Zürich in der Phase der Deindustrialisierung mitprägten. Sie erkämpften über die Proteste von 1968, die Revolte von 1980 und in den Neunzigern für die Alternativkultur Räume und erweckten die Stadt, die von Autobahnzubringern beinahe zerstört worden wäre, zu neuem Leben. «Zureich», das Graffiti an der besetzten Wohlgroth-Fabrik auf der anderen Seite der Geleise, verdichtete die Kritik zum Ortsnamen.

Auch wenn sich die Exponent:innen jener Generationen wohl auf ewig im Widerstand wähnen, so haben es einige zu Kapital gebracht, zu finanziellem und kulturellem, und manche haben geerbt. So trafen sie also aufeinander, der Buchhändler und Gastronom Bruno Deckert, der Filmemacher Samir und als Vermittler der frühere Hausbesetzer und spätere Immobilienverwalter Steff Fischer, und entwickelten die Vision des «Kosmos». Man mag darüber im Rückblick spotten. Aber wer weiss, dass Kulturräume zuerst eine Atmosphäre brauchen, der fand sie im «Kosmos» durchaus: Geschickt sind die Räume von Kino, Veranstaltungslokal, Buchladen und Restaurant ineinander verschachtelt, und schnell wurde das Lokal zum beliebten Debattenort, den diese Stadt dringend brauchen konnte.

Falsch konstruiert

Bloss hatte das Kulturlokal von Anfang an den Konstruktionsfehler, dass es als Aktiengesellschaft konzipiert war; schliesslich befand man sich nicht mehr im Zürich der Alternativgenossenschaften, sondern in jenem der Start-ups. Bald brach eine Auseinandersetzung zwischen den Gründern los, bei der es um Aktionärsstimmen ging, von einem Putsch gar war die Rede. Freund:innen wollten vermitteln, Unbeteiligte wandten sich ab, und die Animositäten der Gockel verdeckten das eigentliche Problem: die Stadtentwicklung. Schliesslich liegt das «Kosmos» nicht irgendwo. Sondern am Ausgang der turbokapitalistischsten Strasse der Schweiz, die Europaallee heisst und von Google-Büros dominiert wird. Das «Kosmos» war eine Wette darauf, dass sich selbst an einem solch auf- oder wahlweise abgewerteten Ort Kultur, Diskussion, Sinnhaftigkeit herstellen lässt. Diese Wette ging nun verloren.

Die Gründe dafür liegen nochmals in der Konstruktion des «Kosmos»: Es war, auch wenn ihm die SBB Immobilien als Eigentümerin die Marktmiete substanziell reduziert haben will, zu hohen Mietzahlungen verpflichtet, die sich zunehmend in Schulden verwandelten. Gleichzeitig wurde das «Kosmos» von der städtischen Kulturförderung nicht unterstützt – bei Kinos, Konzert- und Diskussionslokalen besteht eine eklatante Lücke in der Förderung. Unfähigkeit und Unvermögen der Betreiber:innen trugen das Ihre zur Schieflage des «Kosmos» bei. Siebzig Mitarbeiter:innen verlieren nun ihre Stelle – eine skandalöse Massenentlassung.

An dieser Stelle soll allerdings nicht der Eindruck entstehen, das «Kosmos» sei ein Opfer der Gentrifizierung. Es ist viel dramatischer: Das «Kosmos» setzte auf die Gentrifizierung – und wurde von dieser überrollt.

Fertig spekuliert

Nach dem Konkurs des Kulturzentrums will die SBB weitermachen wie gehabt. Sie schreibt auf Anfrage: «Die Europaallee ist heute ein lebendiger Ort. Dazu hat auch das Kosmos beigetragen. Die neue Nutzung an diesem Ort soll Ähnliches leisten.» Wenn hier tatsächlich wieder etwas Lebendiges entstehen soll, erinnert man sich aber besser daran, dass der Grundbesitz der SBB eigentlich der Bevölkerung gehört. Zur Finanzierung der Bahninfrastruktur, vor allem aber zur Sanierung ihrer eigenen Pensionskasse, setzte die SBB in den letzten zwanzig Jahren auf eine expansive Immobilienstrategie, die überall in der Schweiz in Bahnhofsnähe die Preise von Wohnungen und Geschäften in die Höhe treibt.

Weil der Boden, auf dem die Europaallee steht, letztlich allen gehört, wäre es auch am besten, wenn die SBB jetzt das «Kosmos» als Gemeingut zur Verfügung stellte: nicht einer AG, sondern einer Genossenschaft oder einem Verein aus dem Quartier. Leider ist zu erwarten, dass das rot-grün regierte Zürich, namentlich die für Kultur verantwortliche Stadtpräsidentin Corine Mauch, diese Forderung kaum stellt. Auch sie ist schliesslich gut mitgeflogen im Aufstieg ihrer Generation.

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Kommentare

Kommentar von Patrick Clémençon

So., 11.12.2022 - 10:52

Ich wohne in Freiburg, ging aber fast jedes Mal als ich in Zürich vorbei kam ins Kosmos, weil ich dort immer auf ein lebendiger mix an Kultur und coolen Leute traf. Die Europaallee gehört uns allen und so sollte es auch mit dem Kosmos sein: als Gemeingut zur Verfügung gestellt und durch eine Genossenschaft verwaltet. NO PROFIT BUT AS A COMMON!