Kino-Film «Minari»: Grossmutter, warum bäckst du keine Cookies?

Nr. 27 –

Knapp am Versöhnungskitsch vorbei: In seinem oscargekrönten Spielfilm «Minari» verarbeitet Lee Isaac Chung auch seine eigene Kindheit als koreanischer Secondo in Arkansas.

Es kommt meist anders, als man denkt: Mit der Ankunft der Grossmutter erfahren ­Familien­dynamik und Film eine unerwartete Wendung. Foto: Josh Ethan Johnson, Pathé Films AG

Es muss nicht immer schön sein, wenn sich ein Traum erfüllt. Für Jacob (Steven Yeun) sieht er so aus: ein Stück flaches Land im provinziellen Nirgendwo von Arkansas, umgeben von Hecken, einigermassen grün und anstelle eines Hauses ein hässlicher, lang gestreckter Trailer. Seine Ehefrau Monica (Yeri Han) schaut skeptisch. Manche werden das aus eigener Erfahrung kennen: jenes Erschrecken, wenn man an einen fremden Ort kommt und mit der Vorstellung konfrontiert wird, es hier jetzt aushalten zu müssen, obwohl man sich akut unwohl fühlt.

Leicht trotzig versetzt Monica der Begeisterung ihres Mannes einen Dämpfer. Sie hat vermeintlich gute Gründe: Das Spital, auf das ihr Sohn David wegen einer angeborenen Herzrhythmusstörung angewiesen sein könnte, ist weit weg, auch Tochter Anne wird es nicht leicht haben, zur Schule zu kommen. Unterschwellig meint man aber, eine andere Frage herauszuhören: ob sie als koreanische Einwandererfamilie hier im amerikanischen Heartland überhaupt ankommen können.

Koreanisches Gemüse

Der Regisseur und Autor Lee Isaac Chung hat sich für seinen Film «Minari» von der eigenen Biografie inspirieren lassen. 1978 als Sohn südkoreanischer Eltern in Denver geboren, ist er auf dem Land in Arkansas aufgewachsen. Und obwohl der junge Familienvater Jacob in seinem Ringen um den Erfolg seiner kleinen Farm zum eigentlichen «Helden» des Films wird, ist es der Blick des kleinen David, der in seiner naiven Neugier und Abenteuerlust der Erzählperspektive ihre emotionale Färbung gibt.

Der Film setzt in den frühen achtziger Jahren ein, während einer grossen Einwanderungswelle aus Korea in die USA. Mit wenigen Szenen macht Chung die Ausgangslage seiner ProtagonistInnen deutlich: Jacob und Monica haben ihren Lebensunterhalt bislang in der kalifornischen Agrarindustrie verdient, wo sie bei frisch geschlüpften Küken das Geschlecht bestimmen mussten – ein ebenso anstrengender wie einfältiger Job. Nach Arkansas zu ziehen, ein Stück Land zu kaufen und es zu beackern, das ist Jacobs Idee. Später im Film rechnet er es einem Nachbarn vor: Bis zu 50 000 KoreanerInnen würden jedes Jahr in die USA einwandern, und fast alle würden gerne weiter «koreanisches» Gemüse kaufen – diesen Markt möchte er bedienen. Es ist sein «amerikanischer Traum»: etwas aus sich machen, etwas, worauf man stolz sein kann, mit der eigenen Hände Arbeit.

Monica möchte diesen Traum nicht mitträumen, weil sie sich für realistischer hält. Sie macht sich Sorgen um den kleinen David, der ständig losrennen will, den man aber wegen seiner Herzprobleme immer im Auge haben muss. Und sie hat Angst, dass Jacob die Familienersparnisse mit seinen Investitionen in den Sand setzen könnte. Ist ihm am Ende der Geschäftserfolg wichtiger als die Familie? Besänftigen lässt sie sich mit einem Kompromiss: Sie holen ihre Mutter aus Korea zu sich.

Mit der Ankunft von Grossmutter Soon-ja erhalten die Familiendynamik und der Film selbst einen völlig neuen Energiestoss, der keineswegs in die erwartete Richtung geht. Vor allem David lehnt die fremd riechende Frau ab, die sich aus seiner Sicht auch noch so seltsam benimmt. Sie verhalte sich gar nicht wie eine richtige Oma, wirft er ihr vor, sie könne nicht mal Cookies backen.

Harmonie in der Blase

Die beiden bilden fortan ein köstliches «odd couple», die eigensinnige Grossmutter und der gerade erst seine Autonomie entdeckende Enkel. Grossartig mit leichter Bissigkeit verkörpert von Youn Yuh-jung, die dafür bei den Oscars als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet wurde, und dem ausdrucksstarken Kinderschauspieler Alan S. Kim stellen die beiden für eine gewisse Zeit das Herz des Films dar. Im Unterschied zu ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn, die ihre Gefühle meist diszipliniert im Zaun halten und sich ausser Arbeit kaum etwas gönnen, legt die Grossmutter eine Vorliebe für freizügiges und unkonventionelles Verhalten an den Tag. Die Vorwürfe ihres Enkels lacht sie weg, genauso dessen Streiche, die zu Anfang noch ziemlich bösartig sind. Nur langsam lernt der Enkel seine schrullige Oma schätzen. Aber bevor die Geschichte zwischen ihnen zum Versöhnungskitsch verkommt, fügt Chung eine neue Wendung ein.

In solchen Details meint man, die echte Erfahrung zu spüren, die in den Film eingeflossen ist: Es kommt alles meist anders, als man denkt. Das gilt auch für die Szenen der äusserlichen Fremdheit, die Chung wie nebenbei einfügt: In der Kirche beim Gottesdienst sticht die asiatische Kleinfamilie unübersehbar hervor, aber bei gemeinsamer Arbeit und geteilten Sorgen sind solche Unterschiede auch wieder schnell überwunden. Andere Unterschiede bleiben, aber aggressive Formen des Rassismus erspart Chung seiner Familie im Film. Indem er sie in ihrer koreanischsprachigen Blase lässt, plädiert er auf seine Weise für Toleranz: Es lässt sich lernen, mit einem Stück Fremdsein zu leben, so scheint «Minari» zu suggerieren. Der Grossmutter jedenfalls gelingt es, das für die koreanische Küche wichtige Kraut, das dem Film seinen Namen gibt, an einer Stelle einzupflanzen, an der es wie wild gedeiht.

Minari. Regie und Drehbuch: Lee Isaac Chung. USA 2020