Streit um Erdgasfelder: Türkische Kriegsspiele

Nr. 36 –

Im Konflikt um Erdgas im Mittelmeer befinden sich Ankara und Athen auf einem scharfen Konfrontationskurs. Der türkische Präsident Erdogan droht gar mit einem Militäreinsatz – dabei ist die Türkei nicht das einzige Land, das im Meer militärische Fakten schafft.

Eigentlich lohnen die Gasvorkommen im Mittelmeer das ganze Theater nicht: Das türkische Explorationsschiff Oruc Reis vor Antalya. Foto: Orhan Cicek, DDP Images

«Ich will, dass wir ein griechisches Kriegsschiff versenken», soll der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kürzlich zu Generälen gesagt haben. «Macht es so, dass niemand dabei stirbt.» Was gemäss Medienberichten aus Militärkreisen verlautet, zeigt, dass Erdogan mit der Möglichkeit eines Kriegs gegen Griechenland spielt, notabene ein Nato-Partner. Auch seine Rhetorik wird immer wilder, wie eine Rede von vor wenigen Tagen zeigt: «Lasst uns noch ein oder zwei Flugzeugträger bauen! Wir brauchen sie zur Abschreckung auf See.»

Juristisch kompliziert

Die Türkei will sich Erdgas im Mittelmeer sichern. Das ist der offizielle Grund dafür, dass Ankara schon vor Monaten Schiffe losschickte. Aktuell sucht die «Oruc Reis» südlich der griechischen Inseln Rhodos und Kastelorizo nach Erdgas. Das Schiff wird von der Marine begleitet. Für Athen eine Provokation – für Ankara eine Machtdemonstration. Bisher blieb ein Angriff zwar aus, aber: «Vor ein paar Wochen kollidierten zwei Fregatten wegen eines Manövrierfehlers miteinander», sagt Dimitrios Triantaphyllou, Professor für Internationales Recht an der Kadir-Has-Universität in Istanbul. Für Athen ist klar: Ankara fischt in fremden, griechischen Gewässern. Die Türkei bestreitet das. «Wenn wir den Piraten nachgeben, können wir künftigen Generationen nicht ins Gesicht sehen», hält Erdogan dagegen.

Rechtlich gesehen ist die Lage unklar: Küstenstaaten können ihren Hoheitsbereich am und im Wasser auf 200 Seemeilen erweitern und eine Ausschliessliche Wirtschaftszone (AWZ) festlegen. Das geschieht meist durch Verträge mit anderen Küstenstaaten. Daneben gibt es den sogenannten Festlandsockel: Dieser kann je nach Situation bis über die AWZ hinaus reichen, betrifft aber ausschliesslich den Meeresboden. «Die Nutzungsrechte stehen dort Küstenstaaten automatisch zu», erklärt Nele Matz-Lück, Professorin für Internationales Recht an der Uni Kiel. Für Griechenland haben die Inseln in der Ägäis solche Festlandsockel, was die Türkei aber nicht anerkennt. Die Juristin meint: «Völkerrechtlich klar ist, dass die Inseln, über die Griechenland unstreitig staatliche Souveränität ausübt, grundsätzlich auch eine AWZ und einen Festlandsockel beanspruchen können.» Daraus ergebe sich aber noch keine juristische Grenzziehung.

Ein erster Schritt dorthin sind Abkommen, wie sie gerade en masse im Mittelmeer geschlossen werden: Griechenland ist sich mit Italien und Ägypten einig, dass die griechischen Inseln einen Festlandsockel und eine Wirtschaftszone haben. Die Türkei protestiert und entgegnet, die Inseln, um die es gehe, seien näher an der Türkei als an Griechenland. Nach internationalem Recht spiele das aber keine Rolle, meint Matz-Lück. Es zähle, wer die staatliche Souveränität ausübe. Und das ist im Fall von Kreta, Rhodos oder der Insel Kastelorizo, die nur drei Kilometer vom türkischen Festland entfernt liegt, Griechenland. Matz-Lück nennt aber eine Ausnahme: «Gibt es gegenüberliegende Staaten, kann keiner den vollen Sockel beanspruchen.» So wie im Fall von Griechenland und der Türkei. Völkerrechtlich gelte der Grundsatz, eine an Gerechtigkeit und Billigkeit orientierte Lösung zu finden – doch eine solche gibt es bisher nicht. Stattdessen schliessen die Anrainerstaaten Verträge über Wirtschaftszonen miteinander, die sich widersprechen, und teilen das Mittelmeer auf diese Weise gleich mehrfach untereinander auf.

Es geht um mehr als um Gas

So unterzeichnete auch die Türkei im Dezember 2019 eine AWZ-Vereinbarung mit Libyen – ein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter, da mitten im beanspruchten Gebiet griechische Inseln liegen. Auch Vermittlungsversuche Deutschlands scheiterten bisher. Vielmehr sollen militärische Provokationen Fakten schaffen: Südlich von Zypern veranstalten Griechenland, Italien, Frankreich und Zypern gemeinsame Militärübungen.

Die türkische Marine hat sich schon für ein Kriegsmanöver mit Schiessübungen in Stellung gebracht. Zeitgleich tummeln sich französische, russische, US-amerikanische und israelische U-Boote in der Ägäis. Wenn so viele Nationen ihre Schiffe und Boote schicken, geht es um mehr als einen türkisch-griechischen Erdgasstreit. Die Vorkommen sind ohnehin zu gering, um die teuren Manöver zu rechtfertigen. Das Erdgas dient als Vorwand für einen internationalen Kampf um die Hoheit im östlichen Mittelmeer.

Die Türkei sei dort ernsthaft in die Enge getrieben worden, beschwert sich Ercan Citlioglu, Sicherheitsexperte am Zentrum für Strategische Forschung an der Baskent-Universität in Ankara. Denn Griechenland, Zypern, Israel, Ägypten, Jordanien und Palästina haben sich zum «Gasforum für das östliche Mittelmeer» zusammengetan. Sie wollen gemeinsam Ressourcen aus dem Mittelmeer fördern und vertreiben. Dabei gehe es vor allem um Erdgasfelder vor Israel, die viel wirtschaftlicher seien als diejenigen in der Ägäis, sagt Citlioglu. «Der günstigste Weg, dieses Gas nach Europa zu verkaufen, ist eine Pipeline zwischen Zypern, Israel und der Türkei. Aber wegen unserer Meinungsverschiedenheiten haben sie entschieden, das Erdgas von Zypern nach Ägypten und von Israel über Kreta nach Europa zu transportieren. Dagegen mussten wir vorgehen.» Über das türkisch-libysche Abkommen habe sich Ankara wieder ins Spiel gebracht.

Die Türkei will zum Gashandelsplatz in der Region werden. Mit dem Erdgasstreit in der Ägäis ist deswegen auch der Krieg in Libyen verbunden. Wer den Staat mit seiner langen Mittelmeerküste kontrolliert, hat Macht über Flüchtlingsrouten und den illegalen Handel mit natürlichen Ressourcen aus Afrika. Daran hat Frankreich, für das die libysche Hafenstadt Sirte schon lange ein wichtiger Umschlagplatz ist, ebenfalls ein Interesse. Und spätestens seit Russlands erfolgreichem Engagement in Syrien ist Libyen auch für Moskau ein geopolitisches Ziel geworden. «Russland will in Libyen dasselbe wie die Türkei: Marine- oder Luftwaffenbasen», sagt Citlioglu. Zusammen mit seinem Marinestützpunkt in Syrien könne es so das gesamte Mittelmeer kontrollieren. Auch dagegen kämpfe die Türkei.

Unbeliebter starker Herrscher

Gut läuft es aber gerade nicht. Weil Ankara in den beiden Bürgerkriegsländern kaum Erfolge zu vermelden hat, sind diese Schauplätze in den heimischen Medien kaum eine Randnotiz wert. Aufmacher ist dagegen immer wieder der Erdgasstreit – Erdogan will diesen Streit, um sich als starker Herrscher zu zeigen.

Das ist gerade besonders wichtig, da er in seiner Partei, der AKP, und in der Bevölkerung zusehends an Beliebtheit verliert. Wären jetzt Wahlen, würde er diese nicht unbedingt gewinnen. Da käme ihm ein Krieg durchaus gelegen. Ein solcher würde vorerst Neuwahlen verhindern, über die immer wieder spekuliert wird, und würde den nationalistischen Zusammenhalt in der Türkei festigen – aktuell Erdogans wichtigstes Fundament. So könnte er Zeit gewinnen, die er braucht, weil er die Türkei als Präsident ins Jahr 2023 führen will – sie feiert dann ihren 100. Geburtstag.

Doch nicht nur viele BürgerInnen wenden sich von ihm ab, auch das Militär scheint mehrheitlich nicht mehr auf seiner Seite zu sein. Erdogan ist zwar laut Verfassung Oberbefehlshaber der Armee, doch seine Aufforderung, ein griechisches Schiff zu versenken, sowie die Idee, direkt ein Flugzeug abzuschiessen, wurden gemäss Medienberichten abgelehnt. Das Militär will offenbar die in der Kriegsvorbereitung üblichen Eskalationsphasen einhalten. Bis zu einem Angriff sehen diese als nächste Stufe aber noch Warnschüsse vor.

Aber eine Eskalation sei jederzeit möglich, vermutet Triantaphyllou: «Die Lage ist angespannt, und es sind Jungs mit Waffen auf Schiffen und in Flugzeugen in Bereitschaft: Da kann immer etwas schiefgehen.»