Schweiz–EU: Nur sozial flankiert gibt es eine Lösung mit Europa

Nr. 10 –

Indem die SP neuerdings «Ja, aber» zum Rahmenabkommen mit der EU sagt, hat die Partei die Debatte wieder dorthin gebracht, wo sie hingehört: zur sozialen Frage. Um den bilateralen Weg zu retten, müssen sich die Bürgerlichen in diesem Punkt bewegen.

Als SP-Politikerin Chantal Galladé kürzlich zur GLP übertrat, fand der mediale Druck auf die SP ihren Höhepunkt. Monatelang wurde die Partei nun schon dafür kritisiert, dass sie wegen mangelndes Lohnschutzes Nein zum EU-Rahmenabkommen gesagt hatte. Die Kritik hat etwas Eigenartiges: Sie tut so, als habe es den 9.  Februar 2014 nie gegeben. Damals stimmten 50,3  Prozent der StimmbürgerInnen für die Begrenzung der Personenfreizügigkeit und damit für den Bruch mit der EU. Fast drei Jahre lang war der Schweizer Politbetrieb im Anschluss damit beschäftigt, den Scherbenhaufen zusammenzukehren.

Das Ja vom Februar 2014 hat klar gezeigt: Der bilaterale Weg wird nur überleben, wenn er sozial flankiert wird.

Der Erfolg der «Flankierenden»

Sicher, die damalige Annahme der «Masseneinwanderungsinitiative» hatte verschiedene Gründe. Doch die Angst, dass die Zuwanderung die eigene Existenzgrundlage bedroht, war ein entscheidender, wie die Vox-Analyse des GfS-Forschungsinstituts im Nachhinein zeigte: Von den GrossverdienerInnen (mit einem Einkommen von über 9000 Franken) stimmten lediglich 40  Prozent für eine Einschränkung der Zuwanderung. Leute, die zwischen 3000 und 5000 Franken verdienen, sagten dagegen zu 61  Prozent Ja; solche mit weniger als 3000 Franken gar zu 70  Prozent.

Kaum jemand mit ökonomischem Verstand würde auch je bestreiten, dass der europäische Binnenmarkt, dem sich die Schweiz durch bilaterale Verträge angeschlossen hat, potenziell auf die Löhne drückt. Darum hat die Schweiz flankierende Massnahmen eingeführt: Kontrollen, die sicherstellen, dass EU-Firmen, die Angestellte für Arbeiten in die Schweiz entsenden, ortsübliche Löhne zahlen.

Die «Flankierenden» sind ein Erfolg: Anders als in den übrigen westeuropäischen Ländern haben sich die unteren Löhne hierzulande parallel zu den höheren Löhnen entwickelt. Allerdings kommt es trotzdem auch in der Schweiz zu Lohndruck, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft in mehreren Studien festhält: insbesondere im Jurabogen und im Tessin.

Falls der in der Schweiz geltende Lohnschutz zugunsten des Rahmenabkommens geopfert wird, wird die Unterstützung für den bilateralen Weg weiter schwinden. Bereits diesen Sommer kommt die nächste SVP-Initiative ins Parlament, die die Freizügigkeit ganz aufkündigen will.

Eine übermotivierte Kampagne

Der Grund, warum sich nach Economiesuisse auch die FDP trotzdem hinter das Rahmenabkommen gestellt hat, liegt erstens darin, dass dies ganz einfach ihrer politischen Position entspricht: Einige in der Partei stören sich ohnehin am Lohnschutz, die meisten sind zumindest nicht bereit, das Rahmenabkommen dafür zu opfern. Das Gleiche gilt für die GLP, die in wirtschaftlichen Verteilungsfragen mit SVP und FDP am rechten Rand politisiert. Zweitens sind im Herbst Wahlen: Da werben die Parteien um Aufmerksamkeit, egal ob die Positionen mehrheitsfähig sind oder nicht. Mit ihrem Ja zum Rahmenvertrag hat die GLP ihre Angelrute über der europhilen Wählerbasis der SP ausgeworfen.

Grundsätzlich ist es ja erfreulich, dass die SVP für einmal in der Europadebatte wie ein kläffender Hund an der Seitenlinie steht. Ärgerlich ist aber, dass die Debatte die Form einer irreführenden Kampagne angenommen hat – mit übermotivierter Hilfe von NZZ und anderen Medien. Statt eine ehrliche Debatte zu führen, wie sozial die weitere Integration in den EU-Binnenmarkt abgestützt sein muss, wurde von Anfang an behauptet, dass der Lohnschutz lediglich technisch angepasst werden müsse. Dabei wissen alle, die das Abkommen gelesen haben, dass es um viel mehr geht: Die Schweiz soll den schwächeren EU-Lohnschutz übernehmen. Damit unterstünde der Lohnschutz zudem im Konfliktfall dem gemeinsamen Schiedsgericht, das sich am Europäischen Gerichtshof (EuGH) orientieren müsste.

Nachdem die soziale Frage unter den Teppich gewischt worden war, setzte die SRF-Sendung «Arena» im Dezember den SP-Gewerkschafter Corrado Pardini neben den SVP-Chefideologen Christoph Blocher und deutete den sozialen Konflikt um das Rahmenabkommen zu einem Konflikt zwischen EuropäerInnen und IsolationistInnen um.

Die Geschichte wurde endlos von all jenen Journalistinnen und Politikvermessern wiederholt, die seit über zwanzig Jahren obsessiv darauf drängen, dass die SP endlich soziale Anliegen aufgibt. Dies völlig abgekapselt von der heutigen weltweiten Debatte, in der angesichts des aufsteigenden Rechtspopulismus selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) nach mehr sozialer Gerechtigkeit ruft. Als Galladé zur GLP übertrat, räumte die «Arena» eine ganze Sendung frei und titelte befreit: «Tschüss, SP!»

Der Weg vom Nein zum Ja

Die SP hat reagiert. Dabei war die bisherige Position der Partei eigentlich ehrlich: Die Chancen für ein Rahmenabkommen mit gleichbleibendem Lohnschutz sind gering. Die EU sagt zu neuen Verhandlungen ganz klar Nein. Und selbst wenn die EU dazu bereit wäre: Wesentlich bewegen würde sie sich kaum.

Bleibt die Möglichkeit, den Lohnschutz einseitig EU-kompatibel zu stärken. Bereits kursieren zahlreiche Ideen: von Mindestlöhnen über mehr Gesamtarbeitsverträge (GAV) bis hin zu flächendeckenden Lohnkontrollen, die die EU nicht mehr als diskriminierend einstufen könnte. Doch der Spielraum ist beschränkt: GAVs nützen wenig, wenn die EU die Durchsetzung erschwert. Zudem bliebe bei jeder Massnahme die Drohung, dass die EU dagegen vorgeht. Deswegen das Nein.

Nun sagte SP-Parteichef Christian Levrat am letzten Samstag an der Delegiertenversammlung Ja zum Rahmenabkommen – unter der Bedingung, dass der Lohnschutz nach Schweizer Regeln bestehen bleibt. Inhaltlich hat sich die Parteileitung nur insofern bewegt, als sie die Möglichkeit einräumt, dass das vorliegende Abkommen auch mit starkem Lohnschutz zu haben ist. Damit übergibt sie Leuten wie SP-Nationalrat Eric Nussbaumer das Wort, die genau davon überzeugt sind. Auch er bekräftigt auf Nachfrage, dass der Schutz als solcher nicht zu verhandeln sei. Wer mit SP-ExponentInnen redet, merkt schnell: Geändert hat die Partei vor allem ihre Kommunikation: Sie sagt laut Ja zu Europa und bringt die Debatte dorthin, wo sie hingehört: zum Lohnschutz, zur sozialen Frage.

Damit wird das bedingungslose Ja von FDP und GLP gleichzeitig wieder als das erkennbar, was es ist: eine sozialpolitisch knallharte rechte Position. Eine Position, mit der die beiden den bilateralen Weg verspielen.

Es ist nun am Bundesrat, an den Wirtschaftsverbänden sowie an den bürgerlichen Parteien, sich zu bewegen, um das Rahmenabkommen zu retten. Auch wenn die Möglichkeiten beschränkt sind: Ein Weg besteht darin, bei Steuerschlupflöchern einzulenken, die Brüssel seit Jahren kritisiert, um im Gegenzug Konzessionen beim Lohnschutz erhalten zu können. So haben es die Grünen vorgeschlagen. Der zweite Weg besteht darin, dass die Bürgerlichen helfen, den Schweizer Lohnschutz einseitig zu sichern.