Friedensforschung: Frieden für den Menschen und die Natur

Nr. 51 –

Wie grenzüberschreitende Schutzgebiete, sogenannte Peace Parks, lange währende Konflikte nachhaltig lösen können – wobei erst noch die Umwelt profitiert.

TouristInnen werfen vom Mount Bental einen Blick hinüber nach Syrien: Ein Peace Park auf den Golanhöhen brächte mehr Frieden in die Region. Foto: Sebastian Scheiner, AP

Die Goldstirnklammeraffen haben sich nie für die Grenze interessiert. Die selten gewordenen Säuger haben hier oben in der Cordillera del Cóndor eines ihrer letzten Refugien. Sorglos schwingen sie sich von Ecuador hinüber nach Peru und, wenn sie Lust darauf haben, wieder zurück. Die Menschen aber haben sich lange gestritten, zu welchem der beiden Länder jener oder jener Quadratmeter Boden dieses mit Dschungel bestandenen Bergzugs gehört. Abgelegen und nur schwer zugänglich liegt er am östlichen Rand der Anden; dort, wo das parallel zum Pazifik verlaufende Hochgebirge abfällt hinunter zum Amazonasbecken. 78 Kilometer des Grenzverlaufs waren hier 150 Jahre lang nie richtig markiert worden.

Die Cordillera del Cóndor liegt wie ein Scharnier im grossen hydrologischen Zyklus zwischen dem Amazonas und den Anden und ist eine der artenreichsten Gegenden der Welt. Aber nicht deshalb, sondern wegen eines unklaren Grenzverlaufs gab es zwischen Ecuador und Peru drei veritable Kriege und unzählige Scharmützel.

Zuletzt war es 1995 ganz böse zur Sache gegangen. Fünf Wochen lang bekriegten sich die beiden Länder. Rund 500 Soldaten fielen auf beiden Seiten. Die beiden Krieg führenden Länder verpulverten eine Milliarde US-Dollar. Dann erzwangen die vermittelnden Mächte Argentinien, Brasilien, Chile und die USA einen Waffenstillstand und einen Rückzug der Truppen aus dem für den Erhalt der Biodiversität so wichtigen Gebiet. Mehr als drei Jahre später, am 26. Oktober 1998, unterzeichneten Ecuador und Peru in Brasilia feierlich einen Vertrag, in dem die Grenze endgültig festgelegt wurde.

Natürlich hatten die beiden Länder auch am Verhandlungstisch bis zum Schluss um jeden Zentimeter Land gerungen. Man hat sie schliesslich mit einer salomonischen Lösung überzeugt: Auf beiden Seiten der fiktiven Linie wurde ein Naturschutzpark eingerichtet, auf ecuadorianischer Seite der El-Cóndor-Park mit 2540 Hektaren, auf peruanischer mit 5440 Hektaren der Santiago-Comaina-Park. Beide Schutzgebiete werden gemeinsam verwaltet, die Grenzanlagen bis hinter die Parks zurückgezogen. Die jeweiligen Souveränitätsrechte werden davon nicht berührt. Die so lange umstrittene Grenze wurde damit so gut wie bedeutungslos. Seither können nicht nur die Goldstirnklammeraffen im Park sorglos von einem Land ins andere, sondern auch die Menschen.

Instrument der Diplomatie

Der El-Cóndor/Santiago-Comaina-Park ist das erfolgreichste Beispiel eines sogenannten Peace Park – eines Orts, «an dem die Umwelt als Instrument dient, um Konflikte zu lösen, seien sie nun territorialer Art oder ethnisch-religiös», sagt Saleem H. Ali, Professor für Umweltpolitik und Umweltplanung an der Universität von Vermont (USA). Er hat über Peace Parks geforscht wie kein anderer Wissenschaftler und ist überzeugt, dass «Konflikte, die mit der Umwelt nichts zu tun haben, mit Umweltfriedensprozessen gelöst werden können». So wie der Park in den Anden geholfen hat, den Dauerkonflikt zwischen Ecuador und Peru beizulegen, könnten ähnliche Projekte zum Frieden zwischen Nord- und Südkorea, zwischen Indien und Pakistan oder zwischen Syrien und Israel entscheidend beitragen.

Das klingt ambitioniert, und Ali weiss, dass RealpolitikerInnen Peace Parks gerne als idealistische Spinnerei abtun. Aber er verweist darauf, dass dieses innovative Instrument des Friedenschaffens langsam auch in der internationalen Diplomatie Raum gewinnt. So hat Fred Hof, stellvertretender Nahostbeauftragter des US-Präsidenten Barack Obama, bereits 2008 in einem Papier einen Peace Park auf den von Israel besetzten Golanhöhen als Teil eines Friedensvertrags mit Syrien vorgeschlagen. Das Israel Palestine Center for Research and Information, ein in Jerusalem ansässiges und von Israelis und PalästinenserInnen gemeinsam betriebenes Studienzentrum, hat bereits einen fertigen Plan für einen Peace Park Golan in der Schublade. Danach würde Syrien die Souveränität über die gesamten Golanhöhen bekommen, Israelis aber könnten den dort eingerichteten Park frei und ohne Visum besuchen. Die Grenze müsste demilitarisiert werden, wobei sich die syrischen Soldaten viermal so weit zurückziehen müssten wie die israelische Armee.

Der Plan wurde Anfang 2010 bei einer internationalen Konferenz an der Universität Tel Aviv diskutiert. Syrische ExpertInnen durften nicht teilnehmen – wissenschaftliche Kontakte zwischen den beiden Ländern sind noch immer verboten. Trotzdem hält Ali so eine Tagung für einen Erfolg. Es helfe, wenn Israel als Besatzungsmacht erst einmal seine internen politischen Meinungsverschiedenheiten debattiere.

Derzeit herrscht in Syrien ohnehin Bürgerkrieg. Aber wer weiss schon, wann und wie das Gemetzel endet und welche Regierung daraus hervorgehen wird. Könnte es sein, dass eine neue Regierung sich auf den inneren Wiederaufbau konzentrieren wird und deshalb ganz schnell Ruhe haben will an dieser jahrzehntealten Konfliktlinie? Dann müssen nur noch die Bedingungen in Israel stimmen, und man kann den Peace-Park-Plan aus der Schublade holen. Für Ali, der bei der Konferenz in Tel Aviv dabei war, sind die Golanhöhen jedenfalls «ein idealer Fall für einen Umweltfriedensprozess».

Der Kampf um den Gletscher

Auch am Siachengletscher in Kaschmir, wo sich seit Jahrzehnten Truppen aus Indien und Pakistan in 6400 Meter Höhe an einem unklaren Grenzverlauf gegenüberstehen und immer wieder Scharmützel liefern, werben Hydrologen und Geologinnen aus beiden Ländern mit der Unterstützung von KollegInnen aus den USA und Italien seit Jahren für einen Kashmir Peace Park und drängen auf einen gemeinsamen Zugang zur Konfliktregion. Millionen von Menschen auf beiden Seiten hängen vom Schmelzwasser dieses Gletschers ab, dessen Existenz durch die Klimaerwärmung gefährdet ist. 2005 schien es fast so, als sei der richtige Moment gekommen. Der indische Premierminister Manmohan Singh sagte damals bei einem Besuch des Gletschers, der Ort könne ein «Berg des Friedens», ein «peace mountain» werden. Eine Antwort aus Pakistan blieb aus. Noch scheint die Zeit nicht reif zu sein.

Selbst im Konflikt zwischen den beiden Koreas ist ein Peace Park als Lösung nicht nur idealistisches Wunschdenken. In den sechzig Jahren seit dem Ende des Kriegs hat sich die Waffenstillstandslinie der demilitarisierten Zone entlang des 38. Breitengrads – 248 Kilometer lang und 4 Kilometer breit – zu einem Reservat der Biodiversität zurückentwickelt. 1200 Pflanzenarten sind dort zu Hause, 50 Arten von Säugetieren, 80 Fischarten und Hunderte von Vogelarten, viele von ihnen selten oder vom Aussterben bedroht. In einer historischen Erklärung der beiden Koreas zu gemeinsamen Projekten aus dem Jahr 2000 war Umweltschutz einer der Hauptpunkte. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen empfiehlt die Einrichtung eines internationalen Ökoparks in der demilitarisierten Zone. Seit 2005 arbeitet in Südkorea ein nationaler Rat von WissenschaftlerInnen im Regierungsauftrag an einem Masterplan. «Beide Seiten wollen einen Peace Park, weil keine Partei Nutzen aus der derzeitigen Lage ziehen kann», weiss Ali. Man müsse das Thema nur zur richtigen Zeit in die Sechsparteiengespräche einbringen, bei denen die beiden Koreas mit China, Russland, Japan und den USA über das nordkoreanische Atomprogramm verhandeln. Dann könne die Idee sehr schnell an Fahrt gewinnen und «eine erste wirkliche Lösung für den Territorialkonflikt auf der koreanischen Halbinsel werden».

Der politische Rahmen muss stimmen

Es reicht also nicht aus, dass sich beide Seiten grundsätzlich über Umweltaspekte einig sind. Da gibt es in der Theorie ohnehin selten Meinungsverschiedenheiten. Es müssen auch die politischen Rahmenbedingungen stimmen, damit die Einrichtung eines Peace Park tatsächlich Frieden schaffen kann. Das war im Konflikt zwischen Ecuador und Peru nicht anders. Auch dort bemühten sich Umweltverbände schon seit Jahren erfolglos, die aussergewöhnliche Biodiversität der Cordillera del Cóndor unter Schutz zu stellen.

Der schwelende Konflikt musste erst wieder einmal in einen Krieg ausarten, damit solche Bemühungen erfolgreich sein konnten. Mit Argentinien, Brasilien, Chile und den USA gab es gleich vier regionale Mächte, die auf einen Friedensvertrag drängten. Zudem entwickelte sich in jenen Jahren die Andengemeinschaft zu einer Zollunion. Beide Kriegsparteien gehören zu diesem Staatenbund. Hätten sie sich weiter gestritten, wären sie bei der Integration aussen vor geblieben, und jedem Land wären zusätzliche Einnahmen von bis zu 700 Millionen US-Dollar im Jahr entgangen. Es gab also auch einen wirtschaftlichen Anreiz.

Zuletzt mussten nur noch die Bedenken der Militärs zerstreut werden. In erster Linie die ecuadorianischen Generäle fühlten sich durch die nach 150 Jahren endlich gezogene Grenzlinie übervorteilt. Ihr Militärposten Tiwintza, der im Krieg von 1995 unter hohem Blutzoll verteidigt worden war, lag nach dem neuen Grenzverlauf in Peru.

Doch in einem gemeinsam verwalteten Naturpark muss man nicht eifersüchtig über nationale Territorien wachen, man kann kreative Lösungen finden. Tiwintza bleibt ein – entmilitarisierter – ecuadorianischer Aussenposten auf peruanischem Staatsgebiet. Man errichtete dort ein Denkmal für die Gefallenen. So war die Einrichtung des grenzüberschreitenden Schutzgebiets auch «ein fast schon therapeutischer Prozess» zur Überwindung nationaler Traumata, sagt der ecuadorianische Historiker Carlos Espinosa.

Seither haben BiologInnen in der Cordillera del Cóndor 27 für die Wissenschaft neue Orchideenarten gefunden. Dazu drei Schmetterlingsarten und eine Fischart. Ausser dem Goldstirnklammeraffen sind dort der Totenkopfaffe, der Jaguar, der Brillenbär, der Mohren- und der Krokodilkaiman zu Hause. Durch die Luft flattern der gefährdete Pinselsittich und der ebenfalls gefährdete Karunkelhokko, und hoch über allen schwebt der Andenkondor. Es hat sich also gelohnt. Für Ecuador und Peru ohnehin, aber auch für die Natur.

Peace Parks überall : Zeichen der Freundschaft

Die Idee ist viel älter als der 1999 eröffnete Park in der Cordillera del Cóndor. Das erste Peace Park genannte grenzüberschreitende und gemeinsam verwaltete Schutzgebiet wurde 1931 am Watertongletscher von BürgerInnen aus Alberta (Kanada) und Montana (USA) vorgeschlagen und ein Jahr später als Zeichen der Freundschaft zwischen den beiden Staaten eingerichtet.

Im südlichen Afrika gibt es über ein Dutzend Peace Parks und sogar eine internationale Gesellschaft, die sich für die Einrichtung weiterer solcher Schutzgebiete starkmacht: Am 1. Februar 1997 wurde die gemeinnützige Peace Parks Foundation mit Sitz in Stellenbosch (Südafrika) gegründet. Zwölf Länder haben sich der Stiftung inzwischen angeschlossen. «Ich kenne keine politische Bewegung, keine Philosophie und keine Ideologie, die das Peace-Park-Konzept nicht begrüssen würde», sagte Schirmherr Nelson Mandela, der erste schwarze Präsident von Südafrika. «Es ist ein Konzept, bei dem sich alle die Hände reichen können.»

Inzwischen betreut die Stiftung zehn Peace Parks in Grenzgebieten, die früher einmal umstritten waren. Der grösste, der Kavango-Zambezi-Park, reicht über fünf Länder und ist so gross wie Italien. Bei allen geht es in erster Linie darum, die traditionellen Wanderwege von Tieren nicht durch Grenzanlagen zu unterbrechen und der autochthonen Bevölkerung den Zugang zu Trinkwasser und Anbaufläche für Nahrungsmittel zu ermöglichen. Nicht zu vergessen, dass solche Naturparks für den Tourismus wichtig und somit ein Wirtschaftsfaktor sind.