Libra: Der Griff nach der Weltmacht

Nr. 26 –

Facebook und andere Konzerne haben angekündigt, eine eigene Weltwährung zu lancieren. Eine globale Attacke auf die Demokratie.

Noch mehr Profite? Wer mit der Libra bezahlt, sichert Facebook weitere lukrative Geschäfte.

Wer im Silicon Valley richtig viel Kohle verdienen will, macht das oft gerne im Namen der globalen Armutsbekämpfung. So auch Facebook-Kader David Marcus, als er letzte Woche die Lancierung der «Weltwährung» Libra verkündete. Facebook wolle damit den Ärmsten dieser Welt, denen für Geldtransfers oft horrende Gebühren abgeknöpft würden, eine günstige Alternative bieten. Hinter dieser PR stecken jedoch nicht nur Geldinteressen. Facebook greift mit seiner Währung nach der Weltmacht.

Eine Übertreibung? Leider nein. Herz der Währung ist die Libra Reserve, eine Art private Zentralbank, die von Facebook und anderen Konzernen wie Mastercard, eBay oder Uber gehalten wird. Zusammen bilden sie die Libra Association – mit Sitz in Genf. Zuerst wird die Libra Reserve Libras an die Mitglieder der Libra Association ausbezahlen, die die Währung in Umlauf bringen sollen. Finanziert werden sollen diese Libras durch Investoren – darunter wiederum Mitglieder der Libra Association. Daraufhin sollen Leute weltweit Libras gegen nationale Währungen eintauschen können. Je mehr Libras die Libra Reserve herausgibt, desto mehr Währungen erhält sie dafür. Diese wiederum will sie beispielsweise in Staatsanleihen investieren.

Das neue Konzerngeld

Facebook und Co. werben damit, dass die Libras somit vollständig mit Währungsreserven gedeckt würden. Damit werde ihr Wert stabiler sein als etwa jener von Bitcoins, hinter denen nichts steckt. Eine Libra könnte demnach jederzeit von der Libra Reserve gegen eine nationale Währung getauscht werden. Der Wert der Libra soll zudem an einen Mix aus stabilen Währungen angebunden werden. Für einen Euro etwa würde man eine fixierte Menge Libras erhalten.

Gekauft werden sollen die Libras etwa per Mobiltelefon bei Partnern der Libra Association. Auf diesem Weg sollen die Libras über die Partner um den ganzen Globus geschickt werden können. Die Libra ist damit keine Kryptowährung wie der Bitcoin, der über ein dezentrales Netz von Rechnern anonym um die Welt verschoben werden kann. Sie ist eine von Konzernen kontrollierte Währung. Damit entschärft sich das Problem, dass die Libras einst für Geldwäsche oder zum Kauf von Waffen verwendet werden könnten. Umso grösser ist dafür das Problem des Datenschutzes.

Facebooks Geschäft basiert darauf, persönliche Daten in Milliardenprofite zu verwandeln. Trotz gegenteiliger Beteuerungen drängt sich der Verdacht auf, dass Facebook und Co. mit den Zahlungsdaten zusätzliche Milliardenprofite machen könnten. Doch das Geld winkt auch anderswo: Mit bereits heute über zwei Milliarden Facebook-UserInnen könnte die Libra Association sehr schnell zur grössten Vermögensverwalterin der Welt aufsteigen. Sie würde damit nur schon mit den Renditen aus ihren Währungsreserven Milliarden machen.

Die politische Macht der Libra

Nach der Weltmacht greifen Facebook und Co., indem sie den Staaten das Währungsmonopol zu entreissen versuchen. Ein Monopol notabene, mit dem die Staaten bislang den Kapitalismus zumindest ein kleines Stück weit zähmen können.

Eine der deutlichsten Warnungen kam von Mark Zuckerbergs ehemaligem Gefährten und Facebook-Mitgründer Chris Hughes: «Selbst wenn die Libra nur beschränkt erfolgreich sein sollte, könnte die Währung die Kontrolle der Geldpolitik zu einem grossen Teil vom Staat an diese privaten Firmen übergeben», schrieb er in der «Financial Times». Widerstand kommt aber auch von Zentralbankern, Beamtinnen und Politikern. Währungen gehörten «unter die Souveränität der Staaten», sagte etwa Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire, «nicht in die Hände privater Unternehmen».

Staaten können in schwierigen Zeiten wie nach der Finanzkrise 2008 über tiefe Zinsen zusätzliches Geld in die Wirtschaft schleusen. Das ärgert die Vermögenden, da die Rendite auf ihrem Kapital dann sinkt (heute ist die Sache etwas komplizierter, da die tiefen Zinsen die Immobilienpreise und die Börsen befeuern, wovon Reiche profitieren). Das zusätzliche Geld fördert jedoch Investitionen, was Arbeitsplätze schafft und zu höheren Löhnen führt. Falls nun aber in einem Land die Menschen und Firmen ihr Geld in Libras wechseln, wird der Staat die Kontrolle verlieren: Wenn seine Währung kaum mehr benutzt wird, kann er wenig damit ausrichten. Er müsste ohnmächtig zusehen, wie die Wirtschaft immer tiefer in die Krise rutscht. Gefährlich würde es als Erstes für Entwicklungsländer mit instabilen Währungen, in denen viele Menschen in die Libra flüchten könnten.

Das ist nicht alles: Seit der Finanzkrise 2008 wurden viele Länder wie etwa Brasilien Opfer von SpekulantInnen. Zuerst flossen Milliarden in die Länder, was zu Blasen führte – dann floss das Geld ebenso schnell wieder ab, womit die Währungen in den Keller sausten. Viele Staaten führten deshalb Kapitalverkehrskontrollen ein – was inzwischen selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) begrüsst. Die Libra könnte solche Kontrollen ausser Kraft setzen: Schliesslich könnte eine Währung jederzeit in Libras umgetauscht und so über Grenzen verschoben werden. Die Länder wären den SpekulantInnen ohnmächtig ausgeliefert.

Bislang können Staaten auch Finanzkrisen bekämpfen, indem die Zentralbanken Finanzinstituten, die sich mit einem Bankrun konfrontiert sehen, Geld leihen. Ohne dies wäre die Weltwirtschaft 2008 kollabiert. Falls jedoch irgendwann Institute Kredite in Libras vergeben sollten, könnte es zu einem Run kommen, gegen den der Staat machtlos wäre, da er keine Libras drucken kann. Schliesslich können Zentralbanken im Notfall heute auch dem Staat Geld leihen, falls private Investoren den Geldhahn zudrehen und so die Zinsen zum Explodieren bringen. Sollte sich die Libra in einem Land durchsetzen, würde dem Staat auch diese Möglichkeit entrissen. Es bliebe ihm nichts anderes übrig, als sich irgendwoanders gegen horrende Zinsen Libras zu leihen.

Goldstandard light

Hinter diesem Angriff von Facebook und Co. auf die Demokratie stecken nicht nur Geldinteressen, dahinter verbirgt sich auch viel Ideologie. Und damit ihre These: Die demokratische Willkür führe dazu, dass zu viel Geld gedruckt werde und so – über tiefere Renditen und Inflation – die SparerInnen enteignet würden. Deshalb müsse der Demokratie das Währungsmonopol entrissen werden. Seit den Zinssenkungen in der Finanzkrise 2008 hat die Idee in rechtslibertären Kreisen an Zulauf gewonnen. Die einen zitieren den Liberalisierungspapst Friedrich von Hayek, der 1976 den Wettbewerb unter privaten Währungen propagierte, um die Staaten zu disziplinieren. Andere wollen vor allem die Geldmenge beschränken, indem die Währung an das knappe Gold gebunden wird – so wie es SVP-Kreise 2014 in ihrer «Goldinitiative» verlangten. Kein Wunder, stürzten sich diese Kreise vor ein paar Jahren auf den Bitcoin. Die Kryptowährung bringt Konkurrenz zu staatlichen Währungen und imitiert gleichzeitig eine Goldwährung: Bitcoins werden in einer virtuellen Grube «geschürft», die sich einem Algorithmus entsprechend allmählich leert.

Auch die Libra verspricht, die Macht, die sie den Staaten entreisst, nicht selber ausnutzen zu wollen. Dies, weil die Libra Reserve nur so viele Libras schaffen soll, wie sie im Tausch gegen nationale Währungen erhält; und weil die Libra an einen Mix aus Währungen gebunden sein soll. Die Macht soll also den Staaten genommen werden, um sie in einen anonymen Mechanismus zu legen. Staaten könnten zwar weiterhin Geld schaffen, doch keiner könnte die Geldmenge alleine kontrollieren. Ein Goldstandard light. Falls sich die Libra durchsetzen sollte, könnten die Zentralbanken bei einer nächsten Finanzkrise nicht mehr die Geldmenge kontrollieren, den Staat finanzieren oder Banken retten. Es wäre eine ähnliche Situation wie in der Finanzkrise der 1930er Jahre, als der Goldstandard die Welt in den Abgrund führte.

Noch schlimmer würde es, falls Facebook und Co. die Regeln ändern und beginnen würden, ihre eigene Geldpolitik durchzuziehen. Ein paar Privatkonzerne würden dann per Währung über Renditen, Arbeitslosigkeit und Löhne entscheiden. Und bei der nächsten Finanzkrise würden sie bestimmen, welche Banken und Staaten gerettet würden – und welche nicht. Die Finanzkrise 2008 liefert auch hier einen Vorgeschmack: Da die Eurostaaten ihr Währungsmonopol an die Europäische Zentralbank (EZB) abgetreten hatten, waren sie während der Krise auf deren Kredite angewiesen. Die EZB knüpfte diese etwa für Griechenland an drakonische Sparmassnahmen. Das nächste Mal käme das Diktat statt von der EZB von Facebook.

Doch selbst wenn die Libra Association die Regeln nicht ändern sollte, würde sie als gigantische Vermögensverwalterin eine riesige politische Macht erlangen. Als solche könnte sie Staaten abstrafen, indem sie deren Staatsanleihen, die sie als Reserven hält, im grossen Stil verkauft. Oder sie könnte deren Währung aus ihrem Währungskorb nehmen, womit das Vertrauen in diese Währungen schwinden würde.

Eine globale Antwort

Noch ist es nicht so weit. Wie gefährlich die Libra für das weltweite Finanzsystem und die Demokratie wird, hängt nicht nur davon ab, ob sich die Währung durchsetzt und was Facebook und Co. am Ende genau wollen. Entscheidend ist auch, was die Staaten nun tun: Während die Schweizer Behörden beschwichtigen (vgl. «Und was tut die Schweiz?» im Anschluss an diesen Text), ist international einiges im Gang: Neben dem französischen Finanzminister Le Maire – auf dessen Vorstoss hin die G7-Staaten die Libra im Juli diskutieren wollen – fordert auch Joachim Wuermeling, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, «eine globale Antwort» auf Facebook.

Viel Zeit bleibt nicht, die Libra soll bereits 2020 lanciert werden. Zuckerbergs ehemaliger Gefährte Hughes sagt es in der «Financial Times» so: «Wenn die globalen Regulatoren nicht jetzt handeln, wird es sehr bald zu spät sein.»

Und was tut die Schweiz?

Facebooks Ankündigung, eine eigene Währung zu lancieren, stösst weltweit auf Widerstand: Die Libra könnte den Datenschutz aushebeln, die Finanzstabilität gefährden und die Geldpolitik der Staaten untergraben, so die Kritik von Zentralbankern, Expertinnen und Politikern.

Sitz der Libra Association ist Genf, entsprechend ist die Schweiz besonders gefordert. Hierzulande regt sich jedoch kaum etwas. Die Finanzmarktaufsicht schreibt, dass sie mit Facebook in Kontakt stehe, und verweist auf ihre beschränkte Aufgabe: zu prüfen, ob sich die Libra an die hiesigen Regeln hält. Während die Nationalbank zumindest die «Fintech-Entwicklungen sehr aufmerksam» verfolgt, wertet das Finanzdepartement die Libra ausschliesslich «als positives Zeichen für den Standort Schweiz».

Kritische Fragen kommen einzig von links: SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo hat einen Vorstoss eingereicht, in dem sie den Bundesrat auffordert, eine Beurteilung über die «währungspolitischen Auswirkungen» der Libra sowie über «regulatorische Konsequenzen» abzugeben.