Women of Color: Auffällig, aber unsichtbar

Nr. 24 –

Wer als Mensch mit nichtweisser Hautfarbe in der Schweiz aufwächst, teilt die immer gleichen Geschichten und Erfahrungen. Das kann kein Zufall sein.

Illustration: Maria Rehli

«Woher kommst du eigentlich?» Diese Frage ist der Klassiker schlechthin für uns People of Color. Sie ist meist die höfliche Übersetzung von: «Warum ist deine Haut so dunkel, und warum bist du mit diesem Aussehen hier? Und woher sprichst du so gut Deutsch?» Es liegt auf der Hand, dass ein Heranwachsen, in dem das eigene Aussehen und die Herkunft immer wieder zum Thema gemacht und gleichzeitig hinterfragt werden, einen prägenden Einfluss auf die eigene Identität hat.

In ganz Europa hat die seit Jahrhunderten eingeübte vermeintliche Überlegenheit über andere Kulturen selbst bei gutmeinenden Menschen zu Skepsis oder Herablassung geführt. Kein Wunder also, schwingt dies bei solchen Fragen jeweils mit.

Ich staune immer wieder über die teils Wort für Wort identischen Fragen oder Kommentare. Im ganzen deutschsprachigen Raum, von Kiel bis Wien und Zürich, selbst über die Sprachgrenzen hinaus, begegnen uns immer wieder die gleichen Sätze. Aus Erfahrung würde ich behaupten, dass zwischen diesen beträchtlichen Strecken nicht nur viele Kilometer liegen, sondern auch kulturelle Unterschiede. Trotzdem sind sich diese Regionen in einem sehr ähnlich: darin, dass wir sicher nicht so behandelt werden, als wären wir von hier, und selbst wenn, trotzdem nicht dazugehören.

Ein bedauerlicher Einzelfall?

Letzten Sommer, ich sitze an einer Hotelbar in einem schönen Ort am Mittelmeer. Eine Gruppe SchweizerInnen kommt herein und steht ein wenig unschlüssig herum. Während einer von ihnen neben mir bestellt, kommen wir auf Englisch ins Gespräch. Nach etwas Small Talk stellen wir fest, dass wir beide in Zürich leben, ebenso der Rest der Gruppe, der bald zu uns stösst und sich ebenfalls am Gespräch beteiligen möchte. Also wechseln wir auf Deutsch.

Und sofort schiessen die Fragen auf mich ein: Woher genau ich denn komme? Bei meinem Akzent müsse es ja wohl Deutschland sein? Ich bestätige. Darauf, etwas drucksend: «Aber jetzt sag mal: woher denn so richtig?» Ich erwidere: «Also wie denn richtig?» – «Na ja, halt eben so richtig.»

Wie reagiert man als Schwarze Frau, wenn man immer wieder in solch diskriminierende Situationen katapultiert wird? Wir müssen in Bruchteilen von Sekunden entscheiden, ob wir sie sang- und klanglos an uns vorüberziehen lassen, um nur keine weitere Spannung zu erzeugen. Falls wir uns doch zu einem Kommentar entschliessen, müssen wir die darauf folgenden sozialen Sanktionen in Kauf nehmen. Dabei gilt es, gleichzeitig noch schnell den richtigen Ton zu finden, um souverän dazustehen und nicht als hysterisch wahrgenommen zu werden. Eine ziemliche Herausforderung in Anbetracht der Tatsache, dass diese Begegnungen meistens ein persönlich grenzüberschreitendes Element enthalten, das zu einer natürlichen Schockstarre führt.

An der Hotelbar antworte ich deshalb erst einmal wie von mir erwartet: Meine Mutter komme aus Ghana und mein Vater aus Deutschland. Jetzt schaut mich die Frau noch fragender an, während ich von ihr und dem Rest ein kollektiv gerauntes «Mmmmhhh – interessant» zu hören bekomme, bezogen auf Ghana. Dann folgt auch schon die Nachfrage: «Also dein Vater, der ist richtig deutsch und weiss?» Sie zeigt auf ihre Hand. «Ja, genau», sage ich, «fast so wie du, nur besser durchblutet.»

Vorbereitung auf den «Ernstfall»

Und dann kommt ihre Frage: «Und wieso bist du so dunkel?» Als ob ich darauf einen Einfluss hätte. Die Ratlosigkeit in ihren Augen ist beschämend.

Erfahrungsgemäss sind die Möglichkeiten, als Schwarze Frau ungeknickt aus einer solchen Situation herauszuschreiten, recht überschaubar. Genau deshalb ist Bla*Sh, das Netzwerk Schwarzer Frauen, so wichtig. In Bezug auf Identität wird dies vielen erst wirklich klar, wenn sie darin aktiv werden. Ich stelle fest, dass der Austausch und die Begegnung mit anderen Schwarzen Frauen und vor allem mit ihren Geschichten eine klärende Dynamik in Gang setzen. So werden einerseits die persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung reflektiert, andererseits befreit man sich von der von aussen auferlegten Täuschung, es liege jeweils ein bedauerlicher Einzelfall vor. Oder eine persönliche Überempfindlichkeit im Hinblick auf die gegebene Situation.

Allumfassend kann eine Vorbereitung für den «Ernstfall» nie sein. Doch kann sie etwas mehr Sicherheit vermitteln, um im Fall des nächsten Angriffs – und der kommt bestimmt! – für sich selbst einzustehen.

Ich hole an der Hotelbar also zum Gegeninterview aus. Und bohre dieselben Fragen in die Gruppe rein. Woher? Wie lange? Wieso, und überhaupt: die Eltern? Sie finden es nicht besonders interessant, darüber zu reden. Ich ehrlich gesagt auch nicht, bleibe aber dabei.

Was als langweiliges Frage-Antwort-Spiel – ohne jeglichen Tiefgang – beginnt, endet schliesslich bei einer Offenbarung von Geschichten der Migration in die Schweiz. Nachdem anfangs alle sehr darauf beharrten, «richtige» Schweizer und Schweizerinnen zu sein, zerbröselt im Lauf des Gesprächs die konstruierte Eindimensionalität. Und vielleicht merken sie sogar: Mit wem man seine Familiengeschichte teilen möchte, ist eine persönliche Angelegenheit.

«Woher kommst du?» ist ja nicht per se eine unhöfliche Frage. Aber der Kontext der Unterhaltung macht den wesentlichen Unterschied: Ist mit der Frage gemeint, woher ich angereist sei, oder geht es um meine Migrationsgeschichte?

Wo bleibt die Vorstellungskraft?

In der Schweiz besteht ein konstitutioneller Rahmen für Vielseitigkeit – sowohl sprachlich als auch kulturell. Und doch ist diese Vielseitigkeit offensichtlich schwer zu leben. Weshalb? Mangelt es an Vorstellungskraft? Und woher rührt das? Ist die Herausforderung zu gross? Oder sind womöglich die SchweizerInnen in Bezug auf ihre eigene Identität verunsichert? Ich jedenfalls finde es erstaunlich, wenn ein Schweizer, der eine Schwarze Frau in breitestem Berndeutsch reden hört, nicht selber auf die Idee kommt, dass sie dies wohl kaum im Ausland gelernt haben kann.