«Nonbinär»: Ist Feminismus ohne Frauen möglich?

Nr. 24 –

Das Denken in Gegensätzen steht unter Generalverdacht – gerade in Bezug auf Geschlechter. Doch wieso können wir Grenzen nicht osmotisch denken – zum Frauenstreik aufrufen und Geschlechter unterwandern?

Das Weder-noch als lustvolle Alternative? Die Gefahr besteht, dass auch aus der Verweigerung der Identität wieder eine Identität wird.

«Ich mag keine Monokulturen», sagt eine Bekannte von mir, die sich nicht als Lesbe bezeichnen will, obwohl sie eine ist und auch zu der Generation gehört, in der man sich noch als lesbisch bezeichnet hat. Ob sie sich als Frau sieht, habe ich gar nicht erst gefragt. Sie würde sicher mit Nein antworten, weil sie prinzipiell widerspricht, egal was man sagt.

Mit den Monokulturen hat sie einen Punkt. Die sind ungesund. Als Vegetation auf dem Feld, erbbiologisch sowieso und ästhetisch irgendwie auch. Alles wird schöner durch Abwechslung. Mischkultur ist bunt, lebendig, lässt atmen. Monokultur ist zudem politisch anrüchig. Rechts. Immer. Und unheimlich eng. Vielleicht, weil das «mono» auf einer niederen Stufe der Evolution stehen geblieben ist: Die Einzeller, die Urbakterien, die Schwämme teilen sich immer nur ins ewig Gleiche und verändern sich kaum.

Spannend wird es in der Natur, wenn sich die Gene verschiedener Individuen mischen, diploider Chromosomensatz – geschlechtliche Fortpflanzung. Haben wir Menschen das wirklich alles erfunden oder vielleicht doch der liebe Gott? Das Prinzip jedenfalls lautet ziemlich oft: Wenn sich zwei verbinden, kommt etwas Drittes heraus. Oder, aktueller formuliert: Man muss Mehreres mischen, damit Neues entsteht.

Paradoxes Label «Frau»

Womit wir bei «binary» wären oder eben bei «non-binary». Denn «binary» ist – eigenartig im digitalen Zeitalter, wo die Welt, also unsere Seinsgrundlage, zunehmend auf Nullen und Einsen basiert – als Konzept fragwürdig geworden, vor allem was Geschlechtsidentität angeht. Das ist nicht neu. Die Unterscheidung Mann/Frau war für die meisten Richtungen des klassischen Feminismus immer schon problematisch, und zwar in dem paradoxen Sinn, dass man/frau das Label «Frau» brauchte, um sich zu organisieren, Unterdrückung sichtbar zu machen, Solidarität herzustellen, aber damit gleichzeitig auch jene Zuschreibungen festigte, die man/frau abschaffen wollte.

Umgekehrt war es immer das Ziel des Feminismus, sich selbst überflüssig zu machen. Wenn Gleichberechtigung erreicht ist, gibt es auch kein politisches Projekt «Frauen» mehr – und was sollte ein Feminismus dann noch mit sich anfangen? Bevor es aber so weit ist, bleibt die Kategorie «Frau» im feministischen Zusammenhang politisch notwendig und theoretisch sowie ideologisch fragwürdig. Ich glaube, es ist wichtig, sich dieser paradoxen Struktur bewusst zu sein und mit ihr zu arbeiten.

Aber auch unabhängig vom Geschlecht wird «binary» als Denken in Gegensätzen kritisiert. Dualismen seien eigentlich nur dazu da, Herrschaft zu stabilisieren, lautet das Argument. In allem, was sich zweiteilen lässt – männlich/weiblich, schwarz/weiss, gut/böse, rechts/links, ja/nein, oben/unten –, dominiere eine Seite die andere, jeder Dualismus sei eine versteckte Wertung, es gebe keine Gegensätze ohne Hierarchie, und daher gelte es, sie aufzusprengen, zu zersplittern.

Was kommt zuerst, die Praxis oder die Theorie? Auffällig ist, dass philosophische Denkmuster oft dem politisch Angesagten folgen, sich ihm angleichen, es umgekehrt aber auch formen und ihm Ausdruck geben. Die DenkerInnen der Postmoderne, in deren Fahrwasser wir uns immer noch bewegen, arbeiteten sich hart am Marxismus und an der Methode der Dialektik ab. Das Modell von These-Antithese-Synthese schien zu schematisch und ideologisch. Neben Jacques Derrida und Michel Foucault äusserte sich Gilles Deleuze deutlich in dieser Hinsicht. Er hielt, mit Nietzsche, die Dialektik für christliches Gezauber und bemühte sich, Negation, Anderes und Gegensatz als begriffliche Transmissionsriemen abzuschaffen. Stattdessen setzte er auf Affirmation, Differenz und Wiederholung, auf Rhizome, Netze, Verzweigungen. Dass die politische Linke heute nicht mehr in Kategorien des Ausschlusses denken will (was für den klassischen Feminismus kein Problem war), nicht mehr in festen Blöcken, sondern in fluiden Begrifflichkeiten, entspricht dieser Theorieentwicklung, genauso wie die Vorliebe für Multituden und «non-binary».

Keine Praxis ohne Widersprüche

Es gibt gute Gründe, dieser Theorie- und Politikentwicklung zu folgen. Dennoch habe ich mit ihr und dem Postulat «non-binary» meine Schwierigkeiten, und zwar aus mindestens drei Gründen.

Erstens bleibt die Frage, ob man wirklich ohne Gegensätze denken kann. Egal wie inklusiv eine Bewegung angelegt ist – um sich zu definieren, braucht sie scheinbar ein «Anderes». Im Fall des Schweizer Frauenstreiks ist der grosse Andere das Patriarchat, alle sollen sich versammeln, alle Frauen, «trans», «queer», «inter», «non-binary», «Weiblichkeiten aller Art» gegen das, was cis-männlich, weiss, heteronormativ ist. Prekariat gegen Patriarchat, Unterdrückte gegen Unterdrücker. Wenn das kein Gegensatz ist.

Zweitens müssen politische Bewegungen nicht strikt logisch funktionieren; ohne Selbstwidersprüche lässt sich kaum eine Theorie in die Praxis umsetzen (daher muss man nicht ewig darauf herumreiten, dass auch Inklusion notwendig wieder Ausschlüsse produziert und «non-binary» im Grunde binär denkt). Schwerer wiegt aber, dass mit «non-binary» als Anspruch auf Teilhabe auch ein Machtanspruch einhergeht. Die Aufrufe zum feministischen Frauenstreik sind so breit wie möglich gefasst, aber das scheint einigen noch nicht genug, irgendwie sollen das «Frau» und das «weiblich» auch noch weg. «Die so inklusiv anmutende Schreibweise ‹Frauen*› … diskreditiert trans Frauen und schliesst non-binary Menschen aktiv aus», heisst es im Aufruf der antibinären Aktion zum Frauenstreik. Was um Himmels willen soll noch feministisch sein, wenn wir das «Frau» auch noch durchstreichen? Sorry, das ist absurd und Ausdruck eines ziemlich unschönen Verdrängungsgestus, der latent misogyn und in seinem Opfergestus auf queere Weise patriarchal anmutet.

Pragmatisch, nicht identitär

Drittens muss ich gestehen, dass ich ein Fan der Dialektik bin. Dialektik operiert in Gegensätzen, aber sie war die erste Methode, die sagte: «Tertium datur» (Es gibt etwas Drittes). Vieles ist gegen die Methode der Dialektik einzuwenden, doch sie ist meines Erachtens immer noch das tragfähigste Denkmodell, weil sie Gegensätze als permanente Bewegung begreift, weil sie trennt und verbindet, weil sie das Eine im Anderen sieht und in der Grenze zugleich deren Überschreitung. Ich weiss nicht, was an Grenzen falsch sein soll, solange wir sie osmotisch denken, als Austausch. Und ich finde Binaritäten nicht schlimm, solange wir sie pragmatisch sehen, nicht identitär. Denn es ist doch eigenartig, dass aus dem «non-binary», einer Verweigerung, wieder eine Identität wird. Es liegt eine tiefe Negativität in diesem «non», diesem sich entziehenden Weder-noch (warum nicht Sowohl-als-auch?). (Hierin zu verharren, würde Hegel «schlechte Unendlichkeit» nennen.)

Wie sollen wir denken? Wie handeln? Und wie den Frauenstreik nennen? Ob meine Bekannte, die Monokulturen verabscheut, sich als «Frau» bezeichnen würde, habe ich sie nicht gefragt. Es wäre ihr auch nicht wichtig. Denn «Frau» ist nur ein Begriff, und Begriffe sind Bezeichnungen, und Bezeichnungen sind – trotz ihrer performativen Kraft – keine vollkommenen Realitäten. Das scheint in den gegenwärtigen politischen Diskussionen unterzugehen: Erkenntnistheoretisch gesehen ist «non-binary» genauso wahr oder unwahr wie «binary» – beides sind Konstrukte. Natürlich müsse der Streik «Frauenstreik» heissen, sagt meine Bekannte, weil der Oberbegriff «Frauen» die grösste Zahl an Menschen einschliesse, viel mehr noch als «feministisch». (Die meisten Menschen werden als Frauen unterdrückt, nicht als Queers.) Im Sinn der Inklusion, der möglichst grossen Reichweite und Solidarität, scheint das Wort «Frau» als eine breite Basis noch ziemlich tragfähig.